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Alles wird anders! – Die Metamorphosen des Ovid, Folge 11: Apoll und Daphne – Liebeskunst und Lorbeerschmuck Met. I, 452–567 (01.07.22)

 

Lorbeer ist gesund, sein Öl kann Depressionen lindern, tut dem Magen gut und  der Haut, heißt es. Lorbeerblätter verleihen Schmorgerichten ein interessantes, auf milde Weise bitteres Aroma. Aber warum werden Sieger seit alters her mit Lorbeer gekrönt? Könnte man nicht genausogut Zweige von Birken oder Tannen verwenden? In den Versen 452 bis 567 des Ersten Buchs der Metamorphosen erfahren wir den Grund. Es ist eine tragische Geschichte von Liebe und Tod: Der bis zum Wahnsinn verliebte Gott Apoll verfolgt ein reizendes Mädchen, das vor ihm flieht. In dem Augenblick, da er es mit Gewalt nehmen will, verwandelt es sich in einen Baum, der seitdem den Namen des Mädchens trägt: Daphne, das griechische Wort für Lorbeer.   

Apoll, groß, stark, stolz, hatte gerade die aufgeblasene Riesenschlange Python erlegt und sich das schwarze Blut des Untiers von den göttlichen Waden gewaschen. Er schritt sauber, elastisch und wohlgestimmt aus, sog die würzige Bergluft des Parnassos-Gebirges ein, Apoll trug den Bogen über der Schulter, den Köcher mit den Pfeilen an der Seite. Möglicherweise pfiff er sogar ein Jagdlied, als ihm ein etwas mickrig geratener Mensch begegnete, der mit einem viel zu großen Bogen und viel zu langen und zu spitzen Pfeilen hantierte. Ein kleiner Junge war er, wie sich bald herausstellte, der vergeblich versuchte, den Bogen richtig aufzustellen und mit den Pfeilen ebenso ungeschickt wie stolz abwechselnd in der Luft und im Gras und Gestrüpp herumstocherte. Apoll blieb stehen, betrachtete das sonderbare Kerlchen und lachte. Was willst Du mit dem Bogen, was willst Du mit den Pfeilen, willst Du wetteifern mit mir? Der Knabe war nicht im Geringsten eingeschüchtert. „Ich bin Eros,“ sagte er, „der Sohn der Venus. Und es kann gut sein, dass Du alles triffst, was du willst. Ich aber, ich treffe Dich!“ Mit diesen Worten breitete das Kerlchen seine Flügel aus, flog hinauf zum  Gipfel des Parnassos und schoss zwei Pfeile ab. Einer hatte eine bleierne und stumpfe Spitze, die dazu bestimmt war, beim Aufprall jede Liebesregung zu unterbinden; damit traf er ein junges Mädchen namens Daphne, das gerade durch den Wald streifte. Mit dem anderen Pfeil, der die gegenteilige Wirkung hatte, traf er Apoll.

Der göttliche Mann verliebt sich natürlich sofort, er weiß nicht warum, in jenes arglose, nichts ahnende Mädchen, Tochter einer Landgottheit, schön, rätselhaft und ohne es zu ahnen verführerisch, ätherisch wie der Morgennebel über der Flussaue. Apoll sieht sie und er ist hin und weg, er wird wortreich, er säuselt und schwärmt, vor allem von sich selbst und seinen langjährigen Verdiensten und göttlichen Eigenschaften, und als sie sich nicht bequasseln lässt, versucht er, sie zu bezaubern, Arme und Schulter lässt er sehen in diskretem Muskelspiel, sucht mit offensivem, weißzahnigem Lächeln den Blick der immerzu sich abwendenden Daphne, und als sie sich nicht bezaubern lässt, will er sie verführen, und als sie sich nicht verführen lässt, da packt er sie. Sie spürt die Nähe der Gewalt, sie erschrickt, sie wird verkrampft, wird starr, sie stirbt nicht vor Angst, aber sie wird, nach und nach, zu einem Lorbeerbaum (Griechisch: Daphne). Und Apoll, erschrocken über die Wirkung seiner ungestümen Liebe, wird traurig und streicht mit der Hand über die Rinde des Lorbeerbaums und fühlt ein ganz leises warmes Pochen: Daphnes Herz.

Und niemals, niemals wird Apoll wieder ganz glücklich sein können. Er schmückt sich mit dem Lorbeer, er schmückt auch die Sieger bei den Wettspielen der Künstlerinnen und der Sportler mit Lorbeerkränzen, und alle wissen, dass der Lorbeer, mit dem Krieger und Künstler und Sportler geschmückt werden, nur ein Symbol ist, eine Erinnerung an den Schmerz, den sie immer wieder leiden müssen, weil sie wissen, dass sie das Ideal der Schönheit der Kunst und des Körpers nie ganz verwirklichen können.

Fortsetzung folgt

 

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