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Alles wird anders! – Die Metamorphosen des Ovid, Folge 10: Einträchtige Zwietracht – Zwieträchtige Eintracht Met. I, 416–451 (15.09.21)

 

Nach der Sintflut: Zwei Menschen haben überlebt. Eine Frau und ein Mann. Der Mann heißt Deukalion und die Frau Pyrrha. Aber anders als in der Sintflut des Alten Testaments, demzufolge Noah nicht nur für sein eigenes familiäres Überleben, sondern auch für das der Tiere gesorgt hatte, standen in der griechisch-römischen Mythologie Deukalion und Pyrrha vor einer tierlosen und ziemlich verschlammten Welt. Der Mensch braucht aber Tiere, nicht nur, um sie zu essen, sie sollen auch für ihn arbeiten und seine Gesellen unter der Sonne sein. Bevor Deukalion und Pyrrha nun ans Saubermachen denken konnten, musste dem Tiermangel abgeholfen werden. Wie das geschah, erzählt Ovid von Vers 416 bis 451 in den Metamorphosen.

Es war kein Gott, sondern es war die Erde selbst, welche die Tiere erschuf, unter gütiger Mithilfe des Wassers, der wärmenden Sonne. Und eines Lebensprinzips, das Ovid »discordia concors« – »einträchtige Zwietracht« nennt.

»alle anderen lebenden wesen brachte die erde
ganz von alleine hervor. der nasse morast, vom feuer der
sonne erwärmt, die feuchten sümpfe, der matsch, in brütender
hitze schwanger geworden, alles trieb keime aus, die
samen der dinge, kraftvoll genährt aus dem boden, so wie im
bauch einer mutter. da zeigten sich zögernd die ersten formen von
lebewesen. so ist es auch, wenn der siebenarmige
Nil die ganz überschwemmten äcker verlässt und nach und
nach zurück in das flussbett findet. dann lässt er weiche
schlämme zurück auf den feldern, die schnell von der sonne erwärmt sind.
bald kommen bauern und graben und sehen zwischen den erdschollen
etwas sich formen und regen, erdenklöße, stummelig,   
hilfloses krabbeln, manchmal scheint in demselben körper die
eine hälfte zu leben, die andere aber nichts als ein
dicker klumpen zu sein. wir sehn, es verhält sich so: wie
immer, wenn wärme und feuchtigkeit richtig gemischt sind, wird neues
leben gezeugt. obwohl doch wasser und feuer verfeindet
sind, entsteht alles leben aus beidem zusammen. zur zeugung
taugt am besten eintracht in zwietracht, harmonischer streit.«  

Wir wollen nicht verschweigen, dass die griffige Formel »concordia discors« – »zwieträchtige Eintracht« der Sache nach nicht von Ovid erfunden, sondern vorgefunden wurde, nämlich im Gedankenhaushalt der antiken Philosophie jedenfalls seit Aristoteles. Und die Idee, vielfältige Gegensätze seien ein Zeichen vitaler Produktivität, finden wir durch die Zeiten hindurch immer wieder, in der Ästhetik z.B. ebenso wie in der Politik. In der Barockzeit dienten Orgeln und Saiteninstrumente gern als Metaphern für die Herstellung von lebendiger Harmonie durch Vielstimmigkeit. Und das hieß – um ein Missverständnis gar nicht erst aufkeimen zu lassen – nicht, dass die Zwietracht sich auflöst in eine süße Sauce der Harmonie, sondern es hieß und es heißt, dass gerade die bewegte und bewegende Spannung zwischen dem Verschiedenen das Gute, das eigentlich Lebendige ausmacht. Weswegen alle Versuche, sei es in der Politik, sei es in der Kunst, Widersprüche im Namen von Moral und Ordnung zu negieren, zu kalmieren, zu unterdrücken der sichere Weg in lebensunfrohe Sterilität sind.

Kehren wir zurück zu Ovid und zur antiken Mythologie: Die Erde und der dank Sonneneinstrahlung warme Schlamm brüteteten neben den vielen lieben Tieren widerwillig auch ein ziemlich ekelhaftes Unwesen aus. Ja, es ist wahr: Man kann nicht alle Tiere lieben. Es gibt schädliche Biester. Mücken. Ratten. Giftquallen wie die Portugiesische Galeere, Schlangen. Mit einem dieser Tiere befasst sich Ovid besonders: Sie hieß Python und wurde von der Erde versehentlich geboren, ein Untier, riesig und fett, eine Drachenschlange, die ständig herumgiftete und log und in ihrer Selbstgefälligkeit einen ganzen Berg bedeckte. Als der für Jagd und Kunst zuständige Gott Apoll dieses ekelhafte Tier sah, war er entsetzt über so viel Hässlichkeit und offen zur Schau getragene Bosheit. Er nahm Pfeil und Bogen und kurzerhand erlegte er das Tier, aus dessen Warzen schwarzes Blut spritzte, während es verröchelte.

Und exakt an der Stelle, wo ihm dieser erste große Erfolg als Bogenschütze zuteil wurde, richtete Apoll zum Gedächtnis seiner selbst die sogenannten »Pythischen Spiele« ein, zu denen jedes Jahr junge griechische Männer eilen sollten, um sich in seinem Namen im Boxen, Laufen und in Pferderennen zu messen. Der Siegespreis war ein Kranz aus Eichenlaub oder aus Zweigen irgendeines anderen Baumes. Die später bei Preisverleihungen üblichen Lorbeerkränze gab es noch nicht, weil es die entsprechenden Bäume noch nicht gab. Wie sie entstanden, ist Gegenstand der nächsten Geschichte (I,452–567).  

Fortsetzung folgt

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