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Alles wird anders! – Die Metamorphosen des Ovid, Folge 7: Zeus und wie er die Welt straft – ein neues Menschengeschlecht? Met. I, 151-254 (01.07.21)

 

I. Griechische Götter, griechische Mythen

Die gebildeten Römer der Generation des Ovid konnten durchweg Griechisch. Eine Griechenlandreise mit ein, zwei Semestern Philosophieunterricht in Athen gehörte zum guten Ton. Es ist deshalb nicht zu verwundern, dass die meisten der von Ovid in den Metamorphosen verwendeten Erzählungen der griechischen Mythologie entnommen sind, auch wenn er oft lateinische  Götternamen gebraucht (vor allem Jupiter statt Zeus, wobei diese Namen eine gemeinsame indogermanische, oder wie manche sagen, indoeuropäische Wurzel haben).  Die Griechen waren im Erfinden unwahrscheinlicher, manchmal sogar haarsträubend unrealistischer, aber doch interessant verwickelter, herzergreifender und  bei näherer Betrachtung sogar symbolträchtiger Geschichten besser als die Römer; die Griechen waren freier, verspielter, vielleicht näher an der vorpolitischen und vorphilosophischen Weltsicht der Volkspoesie. Jedenfalls fand Ovid für seine Schöpfung genügend anregendes Material in der griechischen Mythologie.

II. Giganten

Ab Vers 151 beginnt in den Metamorphosen das eigentliche Geschichtenerzählen. Es geht los mit den Giganten. Es handelt sich bei ihnen um ein ausgestorbenes Geschlecht. Menschenähnliche Gestalten mit signifikanter Übergröße und hoher Gewaltbereitschaft, würde ein Kripo-Profiler vielleicht sagen und damit untertreiben: Wir müssen uns vom Zuschnitt her eher  wandernde Kirchtürme oder sogar marodierende Skyscraper vorstellen. Mutter dieser Riesen war die Erdgöttin (Ge). Sie war schwanger geworden mit den Giganten von ihrem ältesten Sohn Ouranos (Himmel), der sich immer wieder gern auf sie, die Erde, legte, dem sie aber irgendwann durch ihren jüngeren Sohn Kronos das Glied abschneiden ließ. Dadurch troffen Blut und Samen auf die Erde (Ge), mischten sich zu einer fruchtbaren Masse, die sich zu riesigen, turmhohen Teiglingen auswuchs, unförmig, fleißig, dumm wie Brot, stark und halbstark zugleich, Giganten eben. Sie beschlossen, einen Putsch zu versuchen, die Götter aus dem Olymp zu vertreiben und häuften gewaltige Felsmassen aufeinander, um in das Götterreich zu steigen. Darüber lachten die Himmlischen alle herzlich, Zeus  zerschmetterte die von den Giganten errichteten Treppen-Gebirge. Das Ergebnis war, dass die Giganten von den Trümmern ihrer einstürzenden Neubauten erschlagen wurden und verbluteten. Wieder mischten sich Blut und Erde. Wieder wuchs daraus ein gewaltbereites, niederträchtiges Lebewesen hervor: Der Mensch.

Wir erinnern uns an dieser Stelle vielleicht daran, dass Ovid für die Entstehung des Menschen zu Beginn des Ersten Buchs der Metamorphosen eine wesentliche harmlosere Erklärung genannt hat, einen beinahe christlichen Schöpfungsmythos. Und nun diese Geschichte aus Blut, Dummheit und räuberischer Erotik. Welche der Geschichten stimmt denn nun? Mit dieser Frage lässt Ovid den Leser genauso allein, wie es die griechische Mythologie tut. Mit dem Geheimnis wahrt er zugleich die Würde der mythologischen, um nicht zu sagen poetischen Weltsicht: Die, wie auch die Wirklichkeit selbst, niemals widerspruchsfrei sein kann.

III. Der neue Mensch

An die Niederlage der Giganten gegen Zeus schließt sich eine Götterversammlung an. Sie findet nicht auf dem Olymp statt, sondern ein paar Etagen höher und ein paar Häuser weiter, auf der Milch-Straße. Dort wohnen die Götter in villenartigen Gebäuden, einer neben dem andern, wie die Filmstars unserer Zeit in den Villen von Malibu, gepflegte Gärten ringsum, weiße Amoretten und Springbrunnen, oder, und das ist Ovids Beispiel: Wie die vornehmen Römer des ersten Jahrhunderts vor Christus auf dem Palatin leben. Hier findet sich auch die Regierungszentrale, wo Zeus sitzt, gestützt auf ein elfenbeinernes Szepter, und die langen Locken schüttelt, eher er den alternativlosen Beschluss der Götterversammlung zur Ausrottung des Menschengeschlechts zu Protokoll nimmt. Dessen, nämlich des Menschengeschlechts, Übelgesinntheit und Grundverdorbenheit hatte ein gewisser Lykaon, König von Arkadien, unter Beweis gestellt. Er hatte es gewagt, den bei einem Kontrollgang auf der Erde umherstreifenden Göttervater zu verspotten, seine Göttlichkeit in Zweifel zu ziehen und, ihm zum Hohne, in seiner Anwesenheit einen grausamen Mord zu begehen, den Ermordeten zu zerstückeln, zu kochen, zu braten und dem Göttervater als Frühstück vorzusetzen.  

Die Götter, als sie diese Geschichte hören, sind einhellig empört und fordern Rache an Lykaon und den Menschen überhaupt. Aber Zeus kann sie besänftigen, denn er hat bereits veranlasst, dass der frevelhafte Mörder Lykaon in einen verbitterten alten Wolf verwandelt wurde. Das ist nicht genug! Ruft die Götterversammlung. Wir müssen die gesamte Menschheit vernichten. Ein für allemal ausrotten! Mit Stumpf und Stiel! Langsam, meine Freunde, langsam, denkt an die Halbgöttinnen und Halbgötter, die Nymphen zum Beispiel, die Waldgeister, was machen wir mit denen, wendet Zeus ein. Und die Stimmung schlägt ein wenig um. Ja, die Halbgötter, das ist ein schwieriger Fall. Und außerdem, wenn es keine Menschen mehr gibt, wer soll uns verehren? Wer spendet uns Spießbraten und Wein? Wer nebelt uns mit Weihrauch ein? Wer singt uns Lieder? Wer baut uns Tempel? Sollten wir nicht vielleicht doch versuchen, herauszufinden, ob es auch gute Menschen gibt? Die Unruhe ist groß in der Götterversammlung. Und Zeus sagt. Ich glaube, ich habe eine Idee. Ich werde ein neues Menschengeschlecht erschaffen, ganz anders als das bisherige. Lasst mich nur machen!

(Fortsetzung folgt)

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