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Linksanwälte, Rechtsverdreher und Justizräte. Zu einem Buch von Ulrich Fischer (15.06.21)

 

»Er bringt die Vertreter der Bahn zur Weißglut«, schrieb die Frankfurter Allgemeine vor einigen Jahren über den Rechtsanwalt Ulrich Fischer. Und tatsächlich konnte er seinen Prozessgegnern, und manchmal auch den Gerichten, ganz schön auf die Nerven gehen. Er schlug, immer elegant mit dem rhetorischen Florett fechtend, große Schlachten im Arbeitsrecht, zum Beispiel für das Streikrecht der Lokführer. Dass er damit half, den Schienenverkehr in Deutschland hier und da ein bisschen lahmzulegen, sei ihm auch nicht immer nur angenehm gewesen, hat er mir einmal gesagt. Aber was dem Recht derer dient, die nicht auf Rosen gebettet sind und sich daher gelegentlich mit etwas derberen Mitteln Gehör verschaffen müssen, das muss dann eben manchmal auch sein: »Kai eris dike« – sagten die alten Griechen, Recht ist auch Streit.

Heute tritt Ulrich Fischer nur noch selten vor die Schranken des Gerichts. Aber immer häufiger gibt er einer Leidenschaft Raum, die er früher auch nicht gerade versteckte, aber, bei den knappen Freizeitkontingenten eines gefragten Rechtsanwalts, nur nebenher pflegen konnte: Es ist seine Liebe zu Musik und Literatur. An seine Vorträge auf der berühmten, alle zwei Jahre in Rendsburg stattfindenden Tagung zu Literatur und Recht erinnert sich jeder, der das Glück hatte dabei sein zu dürfen. Und es sind vor allem die Musik und die Literatur des 20. Jahrhunderts, über die er fesselnd zu sprechen und zu schreiben weiß. Sachkundig, mit Liebe zum Detail und mit viel Hintersinn, 2017 zum Beispiel über die Hindemith-Oper »Neues vom Tage«, in der eine der weiblichen Protagonisten nackt in der Badewanne sitzt, mit dem Schaum spielt und dabei eine große Arie zum Lob der modernen Warmwasserversorgung zwitschert.

Deshalb war ich hocherfreut, als mir Ulrich Fischer vor Kurzem sein in der Pandemie-Zeit erschienenes neuestes Buch schickte, das ich hier anzuzeigen und zu empfehlen die Ehre habe: »›Linksanwälte‹, Rechtsverdreher und Justizräte« heißt der Untertitel. Es geht um, so der Haupttitel, »Rechtsanwälte im Romanwerk Hans Falladas«.

Hans Fallada (eigentlich Rudolf Ditzen, 1893–1947) hatte, wie Ulrich Fischer schreibt, ein besonderes Verhältnis zur Justiz. Nicht nur, weil er selbst mehrfach straffällig wurde, im Gefängnis saß und öfter, als ihm lieb sein konnte, anwaltlichen Beistands bedurfte. Sondern vor allem auch deshalb, weil Falladas Vater ein Jurist war. Und zwar nicht irgendeiner, sondern ein Karrierejurist, einer mit einer Vorzeigelaufbahn: Wilhelm Ditzen (1852–1937) stieg vom Amtsrichter in den Olymp der damaligen deutschen Justiz auf, zum Reichsgerichtsrat in Leipzig.

Sein Sohn wusste also, worüber er schrieb, wenn er in seinen Romanen Rechtsanwälte auftreten ließ: Ob den Justizrat Streiter in »Bauern, Bonzen, Bomben«, die Rechtsanwälte Ziegenbrink in »Ein Mann will nach oben«, Mehltau in »Kleiner Mann, großer Mann – alles vertauscht«, Toll in »Jeder stirbt für sich allein« oder Dr. Husten (von seinem Mandanten »die Bronchialkrankheit« genannt) im »Trinker«. Ulrich Fischer geht die Liste der Anwälte in Falladas Erzählwerk sorgfältig durch und zeigt auch die Anlässe, aus denen sie tätig wurden. So rückt er dem Leser, dem vielleicht nicht alle Plots geläufig sind, wie nebenbei das beeindruckende Panorama der Fallada’schen Romanwelt vor Augen, humorvolle Betrachtungen zur Kunst der Namensgebung (Onomastik) eingeschlossen.

Beeindruckend ist, wie Ulrich Fischer es versteht, anhand der bei Fallada auftretenden Rechtsanwälte eine regelrechte Anwaltstypologie zu entwickeln. Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, ganze Jahre seines Lebens in Gerichtssälen und folglich auch mit Rechtsanwälten unterschiedlichsten Temperaments und Charakters zugebracht hat, freut sich, sie alle wiederzuerkennen: Den listenreichen Anwalt, den politischen Eiferer, den geldgierigen Streitwert-Fuchs, den hoffärtig-schmierigen, den tüchtigen, den vertrauenswürdigen, den »Kleine-Leute-Anwalt«, den eitlen, nach großem Auftritt dürstenden, den parteiverratenden ebenso wie den grundredlichen und den pflichtbewussten Rechtsanwalt.

Sie alle lässt Ulrich Fischer anhand von Falladas Werken vor uns hintreten, es ist eine Wonne, sie agieren und lavieren zu sehen und dabei das Werk Hans Falladas aus einem sehr speziellen Blickwinkel betrachten zu lernen. Das ist auch deshalb interessant, weil, so bemerkt Ulrich Fischer, die Anwälte bei Fallada eigentlich nie im Zentrum des Plots stehen. Sie kommen, wie es ja auch im richtigen Leben zu sein pflegt, eher von der Seite ins Spiel und verduften auch irgendwie seitwärts aus dem Geschehen. Sie haben ihre kurzen, mal großen, mal schäbigen Momente, tun mal Gutes, mal Übles und oft gar nichts, außer Kosten zu verursachen. Sie können Engel sein – oder Egel. Und überhaupt: Dass man von Prozessen keineswegs immer glücklich wird, wusste schon Falladas Vater, der, wie man bei Ulrich Fischer nachlesen kann, gegen Ende seiner Karriere sagte:

»Ich bin ein alter Richter und weiß, dass Prozesse Menschenfresser sind.«

Ulrich Fischers Rundgang durch das Anwaltskabinett des Hans Fallada ist schwungvoll und einladend geschrieben und wartet immer wieder mit Überraschungen auf. Es ist in der Sache lehrreich und fesselnd, grundiert von stupender Kenntnis sowohl des Werks als auch der Biographie Falladas, zu der man vieles erfährt, das man so nicht wusste.

Aus all diesen Gründen ist Ulrich Fischers Buch ein Lesegewinn. Aber es hat noch mehr zu bieten: Denn fast beiläufig lernt man viel über die Geschichte der Anwaltschaft und der Justiz Deutschlands vom späten Kaiserreich über die Weimarer Jahre bis zur schmählichen Ausbootung jüdischer Anwälte in der Nazi-Diktatur. Das Buch begnügt sich nicht mit der Charakterisierung des anwaltlichen Roman-Personals, sondern gleicht sie vielfach ab mit der Darstellung realer Protagonisten des Anwaltsstandes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihren Lebens- und Berufswegen. Und so hat man jede Menge Stoff, über die Tiefen und Untiefen nachzudenken, in die Menschen geraten, wenn das Recht, das in schlechten Zeiten auch nur schlecht maskierte Willkür sein kann, ins Leben greift.

Danke für dieses Buch, lieber Ulrich Fischer!

Ulrich Fischer: Rechtsanwälte im Romanwerk Hans Falladas – »Linksanwälte«, Rechtsverdreher und Justizräte, erschienen als Band 4 der Reihe Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen« – LIT-Verlag 2020, ISBN: 978-3-643-14539-0, 126 Seiten, 19 Euro

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