Alles wird anders! – Die Metamorphosen des Ovid, Folge 6: Von nun an gings bergab – Was nach dem goldenen Zeitalter kam (Met. I, 113 bis 150)(01.06.21)
I. Das silberne Zeitalter
Irgendwann endete das goldene Zeitalter. Im Unterschied zu anderen Epochen des Lebens auf der Erde, zum Beispiel dem Mittelalter oder dem berühmten, uns allen aus dem Geographie-Unterricht bekannten Pleistozän, scheint das Goldene Zeitalter sich nicht nach und nach verkrümelt zu haben, so dass man über das genaue Datum des Endes streiten könnte. Nein, das Ende der Goldenen Zeit war sofort zu bemerken. Es stellten sich zwei Dinge ein, die es vorher nicht gab, und die jeder vernünftige Mensch intuitiv ablehnt: Erstens schlechtes Wetter und zweitens die Notwendigkeit zu arbeiten. Ab sofort musste alles, was man tat, für irgendetwas gut sein.
Schluss mit dem Herumgespiele und Schluss mit dem ewigen Frühling, sagte Jupiter und schuf alles das, was uns bis heute am Wetter quält: Die nachhaltige Unbeständigkeit vor allem, den schönen, aber für Herzleidende viel zu turbulenten und außerdem schrecklich kurzen, in seinem lilienausbrütenden Wahnsinn tobenden Frühling, die quälend langen hustenausbrütenden Herbste, die Eiszapfen im Winter und die tödliche Standhitze im südlichen Sommer. Aber es war eben nicht nur das Wetter, es war auch das Aufkommen der Arbeit, was die Lage ziemlich verhagelte. Und – mit dem Aufkommen der Arbeit einhergehend – die schwere Geburt des übeltäterischen und verkrüppelten Missgedankens, der da lautet, dass man sich in das Notwendige zu schicken habe, um zu leben, anstatt die Feste des ausschweifenden Glücks notfalls auch um den Preis des Untergangs zu feiern. Das Getreide wuchs nicht mehr von allein, man musste pflügen und eggen und wühlen und säen um – vielleicht, vielleicht – zu ernten. Unter diesen Zwängen hatten nicht nur die Menschen, sondern auch die früher fröhlichen Stiere zu leiden. Sie stöhnten unter der Last des Jochs. Sie schwitzten Blut und wer je in der Nähe einer Stierkampfarena war zu Zeiten einer Corrida, kennt diesen schweren traurigen Geruch von Stierblut und kann die tiefe und tragische Melancholie ermessen, die sich damals um die Geschichte der Menschheit wickelte. Immerhin aber hieß diese Zeit noch nach einem Edelmetall; die damals lebenden Menschen nennt Ovid »argentea proles« – »Silbersprossen« – das klingt noch freundlich nach Jugend, wenn auch das deutsche Wort »Prolet« einen pejorativen Klang hat und ursprünglich eine soziale Gruppe bezeichnet, deren Reichtum in nichts weiter als ihren beklagenswerten Sprösslingen besteht.
II. Das bronzene Zeitalter
Mit dem ehernen, also bronzenen Zeitalter wusste Ovid offenbar nicht viel anzufangen. Er widmete ihm genau drei Zeilen: Etwas grausamer seien die Menschen gewesen, aber nicht unanständig.
III. Die eiserne Zeit
Das eiserne Zeitalter, das nun folgte, ist vielleicht bis heute nicht beendet: Die Menschen, die bis ins silberne und bronzene Zeitalter wohl gar nicht über ihr Tun nachgedacht hatten, sondern, wie Kinder und gute Trinker, dem Zauber und dem natürlichen Reichtum der materiellen und immateriellen Welt sich anpassend, empfanden sie auch selbst Freude daran, gut zu sein, wahrhaftig, ehrlich, schamhaft und vorsichtig liebevoll. Denn, was heute nur noch wenige Philosophen wissen: Der Lohn des guten Lebens ist: Das gute Leben! Diese Menschen am Ende des Bronze-Zeitalters entdeckten nun, verführt von den üblen Gefühlen der Entbehrung, des Frierens, des Schwitzens usf., dass man sein eigenes Wohlergehen auf Kosten der Mitmenschen jedenfalls kurzfristig und materiell verbessern zu können schien. Man musste nur die angeborene Scham, Wahrheitsliebe und Treue überwinden und mit dem schlechten Gewissen leben lernen. Und so begann man nicht nur, andere Menschen auszubeuten, sondern auch die Natur, zum Beispiel die Wälder, indem man Bäume fällte, die sich, in Bretter zerschnitten, plötzlich auf den Wellen der Weltmeere wiederfanden, entwurzelt, in ewiger Unruhe, was sie anfangs vielleicht sogar erfreute, weil sie sich plötzlich von ihrem angestammten langweiligen Herumgestehe befreit gefühlt haben mögen. Die Menschen ihrerseits rissen die Erde auf, gierend nach Bodenschätzen, nach Gold, die Gier ergriff Besitz von den Seelen der Menschen, die Gier, »inritamenta malorum« – Anfang alles Bösen. Und der Krieg betrat die Szene, Raub wurde zum Lebensunterhalt. Zwietracht unter Brüdern, Eheleute gehen jetzt einander an die Gurgel, Geschwister ebenfalls, Stiefmütter mischen Gift für die Stiefkinder, Söhne können den Tod ihrer Väter nicht erwarten. Die Jungfrau Astraea, Göttin der Gerechtigkeit, verlässt die Erde und flieht an den Himmel. Die Gerechtigkeit, in früheren Erdaltern in den Herzen der Menschen wirksam, ist nur noch ein Sternbild:
»victa iacet pietas, et Virgo caede madentes,
ultima caelestum, terras Astraea reliquit«
»Scham und Ehrfurcht liegen im Staub. Die Jungfrau Astraea
flieht als letzte der Götter, verlässt die blutende Erde.«
Wenn wir die Reise der Göttin Astraea von unserem Planeten ans Firmament als Metapher nehmen, können wir sagen: Wir wissen nun, warum es unmöglich ist, auf Erden wahre Gerechtigkeit zu finden. Wir wissen aber auch, dass es Gerechtigkeit gibt, wenn auch nur als Leitstern.