Amores – Liebe und Lüge (31.01.23)
Ob es die biographische Wahrheit war, wovon in diesen beiden Gedichten Ovids die Rede ist? Wahrscheinlich eher nicht. Die Verse stammen aus dem ersten Buch, das Ovid (43 v. Chr. bis ca. 17 n. Chr.) mit etwa 25 Jahren schrieb, den »amores«. In den Gedichten erzählt ein Mann namens Naso (d.i. Ovids Beiname, zu Deutsch: Nase) aus seinem wechselvollen Liebesleben. Er liebt vor allem Corinna, die er als seine mehr oder weniger feste Geliebte, manchmal schon beinah als seine Frau ansieht, was allerdings die Konsequenz hat, dass es auch einen gewissen Reiz geben mag, sie zu betrügen oder wenigstens so zu tun, als ob. Jedenfalls ist Corinna gelegentlich als eifersüchtige Frau angesprochen. Mit dem ersten der zwei folgenden Gedichte wendet sich Naso an Corinna und erklärt ihr, wie lächerlich ihre Eifersucht auf Cypassis ist, ein hübsches Mädchen, das der Corinna als Friseurin dient. Welche Version Naso der Cypassis auftischt, lesen wir im zweiten Gedicht.
An Corinna (Amores, 2. Buch, 7. Gesang)*
Warum klagst du mich an, was hab ich schon wieder verbrochen?
Auch wenn ich unschuldig bin, quält mich allein schon der Streit.
Wag ich das Auge zu heben und schau im Theater nach oben,
Suchst du dir gleich eine aus, die dir verdächtig erscheint.
Wenn eine schweigsame Schönheit stummen Blickes mich anschaut,
Denkst du: der stumme Blick birgt einen Liebeswink.
Lobe ich sie, dann gräbst du mir die Krallen ins Haupthaar,
Sag ich, sie ist mir zu dick, nennst du es Heuchelei.
Glänzt meine Wange frisch, dann heißt es: Du schonst dich für andre!
Ist sie dagegen fahl, zehrt mich das Fremdgehn aus.
Ich wollte, ich hätte von all diesen Sünden nur eine begangen,
Ach, wie wäre ich froh, trüge die Strafe gern.
Nun aber, da du mich haltlos beschuldigst mit allem und jedem,
Glaub ich, du nimmst deinem Zorn selber alles Gewicht.
Schau: Der arme, der allzu häufig geprügelte Esel
Trottet träge einher; abgestumpft durch das Leid.
Nun aber siehe mein neuestes Schwerverbrechen: Cypassis,
Deine Friseuse und ich … sollen in deinem Bett …?
Dieses schwör ich, Ihr Götter! Sollte die Lust mich besiegen:
Niemals sündige ich unter meinem Niveau!
Diese Cypassis – ein Sklavenmädchen, ihr Rücken voll Striemen,
Welcher ehrbare Mann legt sich mit solchen ins Bett?
Außerdem: Dient sie nicht dir mit geschickter Hand und legt deine
Haare kunstvoll zurecht? Ist sie dir nicht vertraut?
Glaubst du, ich bäte deine engste Vertraute zu Bette?
Fürchtend, sie weist mich zurück oder verrät mich gar?
Venus und Amor, geflügelter Knabe, hört meine Schwüre!
Unschuldig bin ich verklagt, Opfer falschen Verdachts.
An Cypassis (Amores, 2. Buch, 8. Gesang)
Künstlerin! Tausendfältig weißt du die Locke zu legen,
Würdig, Cypassis, allein göttlichen Haargeflechts,
Voller Süße die Stunden und du voller Raffinessen,
Meiner Frau paßt du gut, besser aber noch mir.
Welcher Spion verriet den kostbaren Bund unsrer Körper?
Wie hat Corinna bemerkt, daß dich ein Mann berührt?
Bin ich etwa errötet? Verriet ich das heimliche Feuer?
Flog mir ein falsches Wort unbedacht aus dem Mund?
War es vielleicht, weil ich sagte, Männer wie ich, also vornehme
Männer mit Stil und Verstand blieben den Sklavinnen fern?
Denn das ist ja nicht wahr: Schon Achilles entbrannte in Liebe für
Briseis, die Sklavin, und stritt heftig um ihren Besitz.
Sollte ich besser sein als Achill und besser als Agamamenon?
Was den Königen schmeckt, schlecht soll das sein für Ovid?
Doch als Corinna dich ansah mit zornigen Augen,
Da plötzlich rötete dir Scham dein süßes Gesicht,
Ich aber, wenn du dich freundlichst erinnerst, blieb kühl bis ans Herz und ich
Tat bei Venus den Schwur: Sieh, ich bin treu wie Gold.
(Göttin, ach Göttin, vergib meinem lauteren Herzen den Meineid ,
Mach, daß ein südlicher Wind ihn übers Meer verweht!)
Du aber, dunkelschöne Cypassis, komm auf mein Lager,
Gib mir gerechten Lohn, Dank meinen kühlen Mut!
Wie denn? Du zierst dich? Kannst nicht? Hast Angst? Ausflüchte suchst du!
Bin ich dir nicht genug? Reizt dich ein anderer mehr?
Törichte! Weigre dich nicht. Sonst werde ich selbst der Verräter
Meiner eigenen Schuld, geh zu Corinna und sag,
Wo wir es trieben, Cypassis, in welchen Winkeln des Hauses,
Alles gebe ich preis: Wo und wie oft und wie.
*Anmerkung zur Übersetzung: Die Amores sind als klassische Elegien in Distichen geschrieben, also in Paaren, die aus je einem Hexameter und einem Pentameter bestehen. Ich habe versucht, das Versmaß des Originals einigermaßen zu wahren. Den lateinischen Text findet man im Netz unter https://www.thelatinlibrary.com/ovid/ovid.amor2.shtml