Anspruch auf Berichtigung eines Zeugnisses
Christoph Schmitz-Scholemann
(als Vorsitzender der 6. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf)
ArbG Düsseldorf, Urteil vom 19.12.1984 – 6 Ca 5682/84
Zum Sachverhalt:
Die Parteien streiten um einen von der Kl. (Klägerin) erhobenen Anspruch auf Zeugnisberichtigung. Die Kl. stand von 1967 bis 1983 als Sekretärin, ab 1974 als Vorstandssekretärin in den Diensten der Bekl. (Beklagten). In einem Zeugnisrechtsstreit begehrte die Kl. ein im Klageantrag im einzelnen formuliertes Zeugnis, in dem es u. a. hieß: »Aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihres gradlinigen verbindlichen Wesens sowie ihres loyalen integren Verhaltens wurde Frau … « Dieser Rechtsstreit endete durch Vergleich in der 2. Instanz. Die Bekl. erteilte der Kl. daraufhin ein Zeugnis, in welchem die im Vergleich aufgeführten Änderungen berücksichtigt sind. In diesem Zeugnis heißt es: »Aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihres gradlinigen verbindlichen Wesens sowie ihres loyalen integeren Verhaltens wurde Frau …« Die Kl. wandte sich daraufhin an die Bekl. und machte geltend, statt »integeren« müsse es »integren« heißen und bat darum, dies noch zu berichtigen. Die Bekl. weigerte sich. Die Kl. hat u. a. ausgeführt, sie habe einen Anspruch darauf, ein Zeugnis zu erhalten, das nicht mit derart störenden Schreibfehlern behaftet sei. Die Schreibweise »integeren« sei falsch. Das Fremdwort »integer« sei aus der lateinischen Sprache entlehnt und werde im Deutschen den lateinischen Formen entsprechend dekliniert. Die Bekl. hat u. a. dargelegt, die Schreibweise sei in Literatur und Presse generell üblich, was durch Einholung eines demoskopischen Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt werde. So habe es beispielsweise in einem Artikel der Rheinischen Post vom 26.10.1984 über den ehemaligen Manager des Fußballvereins Fortuna Düsseldorf geheißen, er habe gesagt, er lasse sich vom Präsidenten des Fußballvereins »nicht den Ruf eines integeren Mannes kaputtmachen«. Es zeige sich, daß die von der Bekl. gebrauchte Schreibweise zumindest in Düsseldorf ortsüblich sei.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen.
Auszug aus den Entscheidungsgründen:
… I. Allerdings ist die Klage … zulässig.
1. Soweit die Bekl. ausführt, es sei ein Mißbrauch der kostbaren Arbeitszeit des Gerichts, wenn die Kl. ein Begehren wie das vorliegende verfolge, so vermag die Kammer dem nur insoweit zu folgen, als bei der gegenwärtigen Belastung der Gerichte für Arbeitssachen die Arbeitszeit des Gerichts in der Tat ein kostbares Gut darstellt. Die Erhebung der vorliegenden Klage stellt sich allerdings nicht als ein Mißbrauch dieses Gutes dar. Die Gerichte dürfen nämlich grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Sache mit der Begründung verweigern, ein Klagebegehren sei abwegig, unsinnig oder unverständlich. Es steht den Gerichten nicht zu, in dieser Weise den grundgesetzlich garantierten Rechtsschutz (Art. 103 GG) zu verkürzen. Allenfalls in ganz seltenen Ausnahmefällen – etwa bei offensichtlich nicht ernst gemeinten Anträgen, mit denen möglicherweise auch das Gericht der Lächerlichkeit preisgegeben werden soll (z. B. Antrag auf Verweisung an das »jüngste Gericht«) – dürfen die Gerichte eine Sachprüfung ablehnen. Dem Gericht sind hier also äußerst enge Grenzen gezogen.
Freilich ist dem Gericht nicht entgangen, daß der Streit der Parteien hier einen Zuschnitt hat, der in den Augen Außenstehender möglicherweise als in gewissem Maße kleinlich oder gar »kleinkariert« erscheinen mag. Das Gericht macht sich aber eine derartige Bewertung ausdrücklich nicht zu eigen, verzichtet vielmehr auf jede Qualifizierung dieser Art und läßt es dabei bewenden, daß von dem Klagebegehren weder gesagt werden kann, es sei der Kl. damit nicht ernst – erkennbar ist vielmehr das Gegenteil der Fall –, noch, daß es in massiver Weise querulatorisch wäre.
2. Die Klage ist auch nicht etwa deswegen unzulässig, weil der Kl. ein einfacherer Weg zur Durchsetzung ihres Begehrens zur Verfügung gestanden hätte. Allerdings ist in diesem Zusammenhang daran zu denken, daß von der Kl. möglicherweise Berichtigung des Vergleichsprotokolls hätte beantragt werden können. Dem hätte aber nach Auffassung des Gerichts entgegengestanden, daß es sich zwar bei der Schreibweise des Wortes, um welches es hier geht, wie sie von der Bekl. gewählt worden ist, um eine Unrichtigkeit handeln mag; indes kann, wie der Streit der Parteien zeigt, von einer offenkundigen Unrichtigkeit nicht gesprochen werden. Daran hätte dann ein Antrag der Kl. auf Berichtigung des Protokolls scheitern müssen.
II. Die Klage ist indes unbegründet.
1. Die Kammer hat der von den Parteien im einzelnen diskutierten und unterschiedlich beurteilten Frage, welche der beiden hier in Rede stehenden Schreibweisen richtig ist, keine fallentscheidende Bedeutung beigemessen. Sicherlich dürften die Ausführungen, welche die Kl. durch ihren Prozeßbevollmächtigten hinsichtlich der Beugung der lateinischen Adjektive auf -er nach der o-Deklination hat vorbringen lassen, zutreffend sein, soweit es sich um Adjektive handelt, bei denen das »e« nicht stammhaft ist (vgl. Schmeken, Orbis Romanus, Elementargrammatik, Formenlehren, 1975, § 5). Allerdings gilt dies bereits im Lateinischen nicht ausnahmslos, wie z. B. die Beugung des Wortes »dexter« (als Adjektiv bzw. als Substantiv) zeigt. So heißt es etwa einerseits bei Milnes-Lenard, in: Winni ille Pu, Kapitel V (quo in capite Porcellus in heffalumpum incidit): »… et dextrae Christophori se arte implicuit«, was übersetzt bedeutet: »und er klammerte sich eng an Christoph’s rechte Hand« (Zitat und Übersetzung nach der deutschen Ausgabe der lateinischen Übersetzung des Buches »Puh, der Bär«, Goverts-Verlag, 1960/1962). Andererseits ist aber auch die Form »dexteram« gebräuchlich (vgl.: »sedet ad dexteram patris« = »sitzet zur Rechten des Vaters«, aus dem Glaubensbekenntnis der katholischen Kirche, zitiert nach: Gebet- und Gesangbuch für das Erzbistum Köln, Verlag J. P. Bachem, o. J.).
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die Übersetzungen nicht etwa deshalb in den Text der Entscheidungsgründe aufgenommen worden sind, weil das Gericht Zweifel an der Verankerung der Prozeßbeteiligten im traditionellen humanistischen Bildungsgut hätte, sondern allein deshalb, weil die Gerichtssprache Deutsch ist.
Allerdings erscheint es der Kammer zweifelhaft, ob das von der Bekl. angeregte demoskopische Gutachten ein geeignetes Mittel darstellt, um die zutreffende Rechtschreibung herauszufinden. Wenn auch sicherlich die Lehre von der Rechtschreibung gewisse Ergebnisse der Empirie nicht schlechthin außer Betracht lassen kann, so muß doch die Vorstellung, über sprachliche und grammatikalische Fragen durch Anwendung des Mehrheitsprinzips (Plebiszit) entscheiden lassen zu wollen, nicht unerheblichen Bedenken unterliegen. Selbst wenn man, wie es der Bekl. offenbar vorschwebt, hierbei das »Stimmrecht« auf den Kreis der Journalisten und Rechtsanwälte begrenzen wollte, so bliebe doch – bei aller Wertschätzung, welche die Kammer für diesen Personenkreis hegt – nach den Erfahrungen des Gerichts nicht gänzlich außer Zweifel, ob dieser Personenkreis als eine reine »Republik der Humanisten« bezeichnet werden könnte.
Obschon diese Fragen einer mehr »normativen« bzw. mehr »empirischen« Ermittlung der orthographischen Regeln an sich keiner weiteren Vertiefung und Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit bedürfen, so ist doch immerhin bemerkenswert, daß die Unterscheidung zwischen h (herrschender) und zutr. (zutreffender) M (Meinung) und damit der Grundgedanke, daß die mehrheitliche Auffassung nicht deckungsgleich mit der richtigen Auffassung sein muß, in einem solchen Maße Selbstverständlichkeit in der juristischen Diskussion ist, daß sie bereits im Abkürzungsverzeichnis II des von Otto Palandt begründeten Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch ihren Ausdr. (Ausdruck) findet. Schließlich hat die Kammer auch nicht nur deshalb gewisse Zweifel an der von der Bekl. vorgeschlagenen Methode zur Ermittlung der richtigen Orthographie, weil die Bekl. den sogenannten Lehrstand (einschließlich der Lehrpersonen an integrierten Gesamtschulen, deren Außerachtlassung bei Fragen der Orthographie wiederum manchem verständlich erscheinen mag) gänzlich unberücksichtigt läßt, sondern auch deshalb, weil die Kammer aus intensiv gepflogener Lektüre von Journaille und anwaltlich unterzeichneten Schriftsätzen sich der Befürchtung nicht entschlagen kann, es werde sich eine komfortable Majorität für »Entgeld« statt »Entgelt«, für »weitgehendst« statt »weitestgehend« und, horribile dictu, für »Allgemeinplatz« statt »Gemeinplatz« finden. Was schließlich das von der Bekl. herangezogene Zitat aus einem Artikel der Rheinischen Post betrifft, so ist zum einen fragwürdig, ob es sich bei bewußtem Sportjournalisten um eine Kapazität oder gar Autorität in Fragen der Grammatik handelt, zum andern ist auch – sehr grundsätzlich – der von Thomas von Aquin überlieferte Satz zu bedenken, der da lautet: »locus ab auctoritate est infirmissimus« (zit. nach Durant-Durant, Kulturgeschichte, Bd. VII, S. 137). Darüber hinaus mag sich bei der von der Rheinischen Post bevorzugten Schreibweise ein gewisser später Einfluß des mittelalterlichen Lateins geltend machen (Küchenlatein, Kirchenlatein), was bei der bekannten Grundhaltung dieses Blattes jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint.
2. Die Kl. macht hier einen Anspruch auf Berichtigung eines Zeugnisses geltend. Es handelt sich beim Berichtigungsanspruch um einen Teil des Anspruchs auf Zeugniserteilung. Der Anspruch der Kl. auf Erteilung des qualifizierten Zeugnisses ist jedoch insgesamt gem. § 362 BGB durch Erfüllung erloschen.
a) Es ist Sache des Arbeitgebers, Form und Inhalt des Zeugnisses zu bestimmen. Solange der Arbeitgeber weder in Form noch Inhalt ein Zeugnis erteilt, das irgendwelche negativen Rückschlüsse auf den Arbeitnehmer zuläßt, kann der Arbeitnehmer weder Berichtigung noch Änderung verlangen. Es ist nicht erkennbar, daß die hier von der Bekl. gewählte Schreibweise irgendwelche negativen Folgen für die Kl. haben könnte. Dies zeigt auch die tatsächliche Entwicklung: Die Kl. hat eine ihr zusagende Anschlußstellung erhalten, ohne daß offenbar von einer Seite die betreffende Schreibweise auch nur in Andeutungen bemängelt worden wäre. Für die Kammer ist es auch nicht vorstellbar, daß irgendeine für Personalentscheidungen zuständige Stelle in einem privaten oder öffentlichen Betrieb, gleich welcher Art, es der Kl. »ankreiden« sollte, daß in ihrem Zeugnis möglicherweise ein »e« zuviel steht.
Im übrigen wird oft genug – und nach Auffassung der Kammer: zu Recht – von Arbeitgebern verlangt, daß sie kleinere, nicht ins Gewicht fallende Unvollkommenheiten ihrer Arbeitnehmer schlicht hinnehmen; gleiches muß dann aber auch umgekehrt gelten, wobei an dieser Stelle einmal unterstellt wird, daß es sich bei der von der Bekl. gewählten Schreibweise um eine nicht korrekte handelt.
b) Selbst wenn man aber unterstellt, die von der Bekl. gewählte Schreibweise sei falsch und die Kl. habe zunächst einen Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses mit korrekter Schreibweise gehabt, so ist dieser Anspruch doch gleichwohl erloschen. …