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Der erste Schuss muss sitzen! (01.10.21)

 
I. Politisches Klima einst und jetzt

Vor kurzem, im Gespräch mit einem jüngeren Schriftsteller, kam die Frage nach dem politischen Klima in der Bundesrepublik der 60er/70er Jahre auf. Ich vertrat die Ansicht, das Klima sei damals deutlich weniger frei gewesen als heute. War das wirklich so? Ich war kein Revoluzzer, kein Marxist, mehr der Flower-Power-Typ, der Gedichte schrieb. Trotzdem hätte ich die Frage, ob ich vom Verfassungsschutz beobachtet würde, jederzeit bejaht. Warum eigentlich? Nun, ich war Kriegsdienstverweigerer und mit Kommunisten befreundet. Und die KPD war seit 1956 verboten, ihr Umfeld und ihre Nachfolgepartei, die DKP, wurden von den Sicherheitsbehörden nachhaltig beschattet. Noch bis in die 80er Jahre konnte man nicht beamteter Lehrer werden, wenn man der DKP angehörte. Ein mir befreundeter Straßenmusiker, »Klaus der Geiger«, der in der Kölner Fußgängerzone vor Warenhauseingängen und Banken gegen die Konsumgesellschaft ansang, wurde regelmäßig von der Polizei »hochgenommen«. Als ich 1977 als Referendar beim Ordnungsamt der Stadt Köln arbeitete, musste ich ein Gutachten über die Rechtmäßigkeit dieser Festnahmen schreiben. Ich kam zu dem Ergebnis, die Maßnahmen gegen Klaus den Geiger verstießen gegen das Grundgesetz (Kunst- und Meinungsfreiheit). Meine Vorgesetzten waren nicht amüsiert. Das Gutachten verschwand umgehend in den Tiefen der behördlichen Aktenkeller.  Dass zu eben dieser Zeit in der Justiz, aber auch in Ministerien und Wirtschaft vielfach noch ehemalige Nazi- oder Wehrmachtsseilschaften das Sagen hatten, verstärkte nicht nur bei mir das Gefühl, einer deutlich missliebigen, überwachungsbedürftigen Minderheit anzugehören. Wir haben uns oft beklagt, im Ernst geweint haben wir darüber nicht. Es war uns eine Ehre, uns verfolgt fühlen zu dürfen.

 

II. Auftrag vom Fernsehen

Dieses Grundgefühl begleitete mich auch während meines Studiums und es führte zu einer persönlichen Begegnung mit einem klassischen Vertreter jener eben angesprochenen erzkonservativen gesellschaftlichen Formation, die mir tief unsympathisch war. Eine Filmproduktionsfirma, die sich auf investigative und kabarettistische Fernsehbeiträge spezialisiert hatte, heuerte mich an. Ich sollte mich mit einem gewissen Herrn Martin Steglich treffen und ihn ein wenig aufs Glatteis führen.  

Herr Steglich war damals eine bekannte Persönlichkeit. Er war Vorsitzender der »Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger« (OdR).  Seine im Zweiten Weltkrieg an der Westfront und im »Kessel von Demjansk« erworbenen militärischen  Ehrungen waren beachtlich: Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes,  Ehrenblattspange des Heeres, Infanterie-Sturmabzeichen in Silber, Verwundetenabzeichen, Nahkampfspange in Bronze usf. Nach dem Krieg war  Martin Steglich nicht nur ein erfolgreicher Kaufmann, sondern auch Handelsrichter und erhielt das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Also Establishment at its best.

Meine Auftraggeber in der Produktionsfirma vermuteten zurecht, dass ich als Kriegsdienstverweigerer wenig Sympathien für militärische Traditionsvereine von der Art des Ritterkreuzordens hatte. Sie erwarteten folglich, dass es mir nichts ausmachen würde, mich ins Vertrauen des Herrn einzuschleichen und ihn zu kompromittierenden, militaristischen Aussagen zu verleiten, die ich mithilfe eines heimlich mitgeführten Tonbandgeräts aufzeichnen sollte. Das alles erwartete ich natürlich auch von mir. Und tatsächlich empfing mich Herr Steglich Anfang 1976 in seinem schönen modernen Bungalow in der Nähe von Köln.  

Zur Bandaufnahme kam es nicht. Irgendwie stand meine katholische Erziehung dem Tabubruch, den das heimliche Mitschneiden bedeutet hätte, im Wege. In dem Moment, in dem Herr Steglich mir die Hand zur Begrüßung reichte, sagte ich: Ich habe übrigens ein Tonbandgerät mitgebracht und möchte unser Gespräch aufzeichnen. (»Feigling!« sagte ich zu mir). Wie das beiderseits dann ziemlich offen geführte Gespräch weiterging, ergibt sich aus der nun folgenden – unveränderten – Niederschrift aus dem Jahre 1976.  

 

III. Das Gespräch

»Gespräch mit Herrn Martin Steglich am Sa, 21.02.1976, 17.00–19.00, in Herrn Steglichs Privathaus in Ruppichteroth

Herr Steglich ist knapp sechzig Jahre alt und Inhaber eines ziemlich großen Möbelhauses. Er macht einen ausgeschlafenen Eindruck.

Vor allem zu Beginn des Gesprächs versuchte er, mich etwas einzuschüchtern: einmal durch Nennung von Prominenten, die er zu seinen Freunden zähle (Halstenberg*, De Maizière**), außerdem durch einen strengen Fixier-Blick.

Gegen Bandmitschnitt hatte er zunächst nichts, wollte nur die zu erwartenden Fragen vorher abklären. Nachdem ich ihm eröffnet hatte, einige Fragen zum Verhältnis Militär-NS, Orden für Überfall auf Polen und Rußland stellen zu müssen, fragte er gegen: »Sind Sie parteigebunden?« Als er vernahm, daß ich SPD wähle, meinte er erst: »Das macht nichts. Wir im OdR haben sogar (!) SPD- Leute. Wir sind unparteilich.« Dann verließ er kurz den Raum und als er zurückkehrte, hatte er doch was gegen Mitschnitt, das sei ihm mal von Professor Nordhoff *** geraten worden, im Übrigen vertone er leidenschaftlich gern Urlaubs-Dias.

Als OdR-Chef hat Herr Steglich mehrere »Herzensanliegen«. Erstens: »Es muß aufhören, daß am deutschen Soldaten des zweiten Weltkriegs sich jeder die dreckigen Schuhe abwischt. Aber das haben wir draußen in Rußland schon vorhergesehen. Ich habe immer gesagt: ›Wenn wir den Krieg verlieren, was Gott verhüten möge, dann sind die Politiker groß und wir nur die Erfüllungsknechte. Wenn wir ihn aber verlieren, dann sind die Politiker weg und wir die Idioten!‹« (Beim ersten »verlieren« handelte es sich um eine interessante Fehlleistung.)

Das zweite Anliegen ist ein soziales. Als Beispiel nannte Herr Steglich den Fall eines staatenlosen Ritterkreuzträgers, dessen Einbürgerung nach »all den langen Jahren mit unserer Hilfe« jetzt endlich gelungen sei. »Beschämend für das deutsche Volk, wenn man sich überlegt, diese Chilenen****, das waren ja zum großen Teil nachgewiesenermaßen Anarchisten, die wurden hier gleich eingebürgert.«

Drittens: Es gab keine Ordensinflation im zweiten Weltkrieg. Von 15 Millionen, die unter Waffen standen haben nur etwa 7000 das Ritterkreuz erreicht. »Verdammt eisenhaltig damals die Luft für uns!«

»Was bedeutet Ihnen das Ritterkreuz?«

»Ich will Ihnen mal was sagen: Sie können den Menschen nicht trennen von seinem Ritterkreuz. Das Volk mag sich spalten in Professoren, Arbeiter, Kaufleute. Über allem steht jedoch der Ritterkreuzträger. Von mir redet der ganze Ort nicht als Kaufmann Steglich, sondern als Ritterkreuzträger Steglich. Man muß dem Kreuze dann die Ehre erweisen. Und ich tue das gerne. Wenn ich jemanden achte, dann lege ich in seiner Gegenwart das Ritterkreuz an.«

»Und wenn Ihnen jemand sagt: Das Kreuz haben Sie nur bekommen, weil Sie Beihilfe geleistet haben zu einem verbrecherischen Angriffskrieg?«

»Wissen Sie denn, ob es ein Angriffskrieg war? Und außerdem, als Soldat frage ich nicht danach, ich kann es nicht wissen. Ich muß meine Pflicht tun, der Staatsmacht dienen und dem Vaterland.«

»Und was halten Sie dann von den Leuten des 20. Juli. Waren das Verräter?«

»Nein. Wir haben selbst welche im OdR. Die haben ihre ethische Pflicht getan, genau wie wir im Felde draußen. Die wußten ja, was wir nicht wußten.«

»Dann bejahen Sie den Widerstand gegen Hitler?«

»Stauffenberg und seine Leute: ja. Die Partisanen und illegalen Kommunisten: nein. Die haben ja gegen den Staat gearbeitet, das ist ein Verbrechen.«

»Wofür haben Sie das Ritterkreuz erhalten?«

Herr Steglich erzählt von einem Kessel, einem Schlauch, einem führerlosen Haufen, mit dem er überraschend dann doch die »doofen Iwans« ausgetrickst hat, ich habe es nicht genau verstanden.

»Abstrakt gesprochen, für welche Tugenden gab es das Ritterkreuz?«

»Tapferkeit, Mut, Verantwortung für die Kameraden. Wir tragen das Ritterkreuz und halten es hoch auch für die vielen, die gefallen sind in treuer Pflichterfüllung.«

»Und daß Sie damit der Arm einer verbrecherischen Politik waren, hat Sie nicht gestört?«

»Ich hatte doch einen infernalisch hassenden Feind vor mir. Alles andere konnte ich nicht beurteilen. Also habe ich meine Pflicht getan und mein Vaterland verteidigt gegen die Bolschewisten.«

Dann erzählte Herr Steglich von einigen Widerstandshandlungen (da er von nichts wußte, schienen sie ihm wohl besonders erforderlich zu sein).

Einen Halbjuden in seinem Regiment habe er durch Nichtbeförderung gerettet, denn bei Beförderung hätte der Rassenachweise erbringen müssen (übrigens habe Hitler die jüdischen Soldaten des ersten Weltkriegs geschont), weiter habe sich sein Regiment (27) in Ostpreußen auf einer Weide geschlossen geweigert, den Kommissarbefehl Hitlers, nach dem die sowjetischen Kommissare ohne Kriegsgerichtsverhandlung sofort zu erschießen seien, durchzuführen. Schließlich habe er im Felde einen Witz erzählt: »Was ist der Unterschied zwischen dem NS und Bolschewismus? – Keiner! Nur in Rußland ist es etwas kälter.«, worauf sein Chef, v. Seydlitz, ihn »mächtig anschiß: Mann, Sind Sie noch zu retten, Steglich, Sie riskieren Kopf und Kragen!« Schließlich rettete Herr Steglich noch 1945 einen Kameraden Schwamborn, der einem SS-Mann auf dessen »Der Führer schafft es noch und führt das deutsche Volk zum Sieg« antwortete, nur der Herrgott führe das Regiment.

»Was würden Sie zu einem Kriegsverweigerer sagen, der Ihren Beruf als professionelles Töten bezeichnete, etwa aus christlichen Motiven?«

»Gegenfrage: Läßt Du Dich für Deine Überzeugung hängen und abschlachten? Dann habe ich Achtung. Sonst bist Du für mich ein Feigling.«

»Es gibt rote Armeen in Japan, bei uns, es gibt die Palästinenser-Armeen. Die organisieren sich straff militärisch, verleihen sich teilweise auch ordensähnliche Auszeichnungen für besondere gefährliche Einsätze. Würden Sie sich mit denen vergleichen?«

»Nie! Die sind ideologisch einseitig. Die kämpfen für den Anarchismus und benutzen unseren Namen ›Armee‹, mißbrauchen den, machen da eine Maske, eine Fratze draus. Das sind ja ganz egoistische Leute.«

»Wie würden Sie sich in einem Bürgerkrieg verhalten?«

»Immer auf der Seite der legalen Staatsmacht. Da gibt es nichts. Ganz egal, wer das ist. Als Soldat habe ich das nicht zu entschieden. Zu jedem Beruf können Sie Nein sagen. Nur zum Soldaten können Sie ganz Ja sagen. Deshalb achten sich Soldaten auch. Ich habe einen englischen Kameraden, das ist mein Freund. Soldaten verstehen sich übers Grab hinweg, ritterliche Gegner.«

»Und wenn Sie gerade diesen Ihren Freund auf Befehl im Krieg erschossen hätten? Und dafür einen Orden bekommen hätten?«

»Das wäre natürlich bitter gewesen. Aber in England und in Frankreich ist das selbstverständlich, seine Ordensträger zu ehren. Nicht heimtückisch, sondern im offenen Kampf als ritterlicher Gegner.«

»Nochmal: Ist da nicht ein Zwiespalt, den Sie spüren, denn heute wissen Sie doch, daß der Krieg im Ganzen und jeder Ihrer Einsätze nur dem Ziel diente, Hitlers Macht zu vergrößern, andere Völker zu unterdrücken, ihnen ihr Land zu rauben. Trotzdem tragen Sie Ihr Ritterkreuz.«

»Hinterher ist man immer schlauer. Wir haben unsere Pflicht getan, dem Vaterland gedient und darauf können wir stolz sein.«

Nach dem Gespräch zeigte mir Herr Steglich seine »Bude«. Die ist randvoll mit Kriegserinnerungen und Urlaubsdias, außerdem seiner Bundeswehr-Reservistenuniform und Kriegsbüchern. Ein Titel etwa »Überfall?«

Im Kriege leitete Herr Steglich die Produktion mehrerer Lehrfilme, deren Drehbücher er mir zeigte. Titel wie »Männer gegen Panzer« (»Wird heute noch gezeigt in der Bundeswehr«) »Schießübungen für Scharfschützen. Untertitel: Der erste Schuß muß sitzen!«

Anmerkungen:

* Fritz Halstenberg, damals sozialdemokratischer Minister in Nordrhein-Westfalen

** Ulrich de Maizière, damals Generalinspekteur der Bundeswehr

*** Heinrich Nordhoff, damals Generaldirektor VW

**** Nach dem Militärputsch des Generals Pinochet in Chile 1973 nahm die damals sozialliberal regierte Bundesrepublik Deutschland Anhänger des gestürzten (sozialistischen) chilenischen Präsidenten Salvador Allende auf.

Mitarbeit: Jakob Schmitz

 

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