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Der liebe Gott und das Arbeitsrecht (15.06.23)

Zu den diversen Privilegien der Kirchen gehört in Deutschland ihre Bevorzugung im Arbeitsrecht. Das ist kein Nischenphänomen, denn die Kirchen beschäftigen in Deutschland weit über eine Million Arbeitnehmer, vor allem im wachsenden karitativen Bereich.

Wie weit im Einzelnen die Sonderrechte der Kirchen gehen, wird immer wieder vor den Arbeitsgerichten verhandelt. Derzeit virulent ist die Frage, ob der  Kirchenaustritt eines Arbeitnehmers in einem kirchlichen Unternehmen, z.B. in einem Krankenhaus, ein Kündigungsgrund ist. Die meisten Menschen, denen man diese Frage stellt, würden wohl spontan mit einem überzeugten Nein antworten, zumal ja kirchliche Unternehmen zumeist auch anders- und sogar ungläubige Arbeitnehmerinnen beschäftigen. Dennoch schwelt um die Frage des Kirchenaustritts als Kündigungsgrund seit einigen Jahren ein erbitterter Rechtsstreit, mit dem sich demnächst sogar der Europäische Gerichtshof befassen muss.

Passiert war dies: Eine 1972 geborene Katholikin (Frau K.) war von 1994 bis 2014 als Hebamme in einem Krankenhaus des Caritasverbands in Dortmund beschäftigt. 2014 machte sie sich selbständig. Während ihrer Selbständigkeit ärgerte sich Frau K. über die diversen Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche derart, dass sie austrat. 2019 beschloss sie, ihre Selbständigkeit wieder aufzugeben und bewarb sich bei ihrem früheren Arbeitgeber. Im Einstellungsgespräch wurde über die Konfession nicht gesprochen. Frau K. bekam den vom Krankenhaus schon unterzeichneten schriftlichen Arbeitsvertrag zugeschickt, unterschrieb ihrerseits und gab ihn in der Personalabteilung ab, zusammen mit einem Personalfragebogen, in den sie wahrheitsgemäß eingetragen hatte, dass sie aus der Kirche ausgetreten war.

Nachdem Frau K. ihre Arbeit im Krankenhaus aufgenommen hatte, fiel ihrem Arbeitgeber auf, dass sie nicht mehr katholisch war. Der Personalleiter drohte ihr die Kündigung an für den Fall, dass sie nicht wieder eintrete. Frau K. wies darauf hin, dass im Krankenhaus auch konfessionslose Hebammen beschäftigt seien. Außerdem sei sie nach wie vor gläubig und werde wieder eintreten, wenn endlich die Missbrauchstäter bestraft würden. Der Institutspfarrer, der ein langes Gespräch mit ihr hatte, erklärte dem Arbeitgeber, Frau K. sei eine religiös geprägte Mitarbeiterin; es wäre schade, sie zu verlieren. Gleichwohl kündigte das Krankenhaus. Frau K. zog vor das Arbeitsgericht.

In erster Instanz hatte sie Erfolg. Vor dem Landesarbeitsgericht, der zweiten Instanz, gewann das Krankenhaus. Und zwar mit dieser Begründung: Dass das Krankenhaus einerseits konfessionslose Mitarbeiter beschäftige, katholische Mitarbeiter aber beim Kirchenaustritt kündige, sei nicht zu beanstanden. Wenn die katholische Kirche Krankenhäuser betreibe, könne sie aufgrund der Religionsfreiheit selbst bestimmen, welche Loyalität sie von wem verlange. Außerdem seien Atheistinnen prinzipiell nicht kirchenfeindlich, sondern nur gleichgültig. Wer jedoch – wie Frau K. – aus der Kirche austrete, sei kirchenfeindlich; es bestehe die Gefahr, dass sie die Kirche gegenüber Patientinnen schlechtmache.

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt befasste sich im Juli 2022 mit dem Fall. Es konnte sich nicht dazu durchringen, einer der beiden Seiten Recht zu geben (21. Juli 2022, Aktenzeichen: 2 AZR 130/21 (A)), und legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vor (Aktenzeichen: C-630/22 – 1).

Die rechtlichen Hintergründe haben der Berliner Rechtsanwalt Martin Brune und ich Ende 2022 in einem Aufsatz in der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) beleuchtet, den man dank der Freischaltung durch den Verlag C. H. Beck hier nachlesen kann:

NZA 2022, 1646

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