Der Teufel bleibt in Segovia
Nun ist es amtlich: Der Teufel bleibt in Segovia. Der Oberste Gerichtshof der spanischen Region Castilla und Leon „Tribunal Superior de Justicia de Castilla y León (TSJCyL)“ wies eine auf Entfernung des Teufels gerichtete Klage mit Urteil vom 17. Mai 2019 ab. Geklagt hatte der in Segovia ansässige konservativ-katholisch orientierte Verein „San Miguel y San Frutos“. Unterstützt wurde er von der nationalistischen VOX-Partei. Klagegegner war die Stadtgemeinde von Segovia mit ihrer sozialistischen Bürgermeisterin Clara Luquero.
Das Klageobjekt, der Teufel, der bekanntlich viele Gesichter hat, ist in diesem Fall 1,70 Meter groß und ziemlich dick, und sitzt seit Januar 2019 auf einer kniehohen Mauer am Rande von Segovias Innenstadt; er ist nackt, hat zwei Hörner auf dem Kopf, zwei Pferdefüße, hat seinen Schwanz elegant über den rechten Oberschenkel geworfen, streckt den rechten Arm aus und hält ein Mobiltelefon in der Hand, offenbar, um ein Selfie von sich aufzunehmen. Seitdem er dort sitzt, rührt der Teufel sich nicht von der Stelle, was hauptsächlich daran liegt, dass er aus Bronze gemacht ist. Sein Name ist, wie bei Teufeln üblich, lateinisch: SEGODEVS, AQVAEDVCTI ARTIFEX – Gott von Segovia, Baumeister des Aquaedukts.
Dieser Teufel ist also ein Kunstwerk. Sein Schöpfer, der Arzt, Schriftsteller und Bildhauer José Antonio Abella, lebt und arbeitet in Segovia. Er hat seiner Heimatstadt im vorigen Jahr den „diablillo“ geschenkt. Und zwar aus Geschichtsbewusstsein, wie er sagt:
Die dreitausend Jahre alte Stadt Segovia liegt 80 Kilometer nördlich von Madrid und hat rund 55.000 Einwohner sowie eine Reihe historisch interessanter Bauwerke. Darunter befindet sich ein dreißig Meter hohes und knapp 1000 Meter langes Aquädukt aus römischer Zeit, um das sich eine lokale Sage rankt. Sie besagt im Kern, das Aquaedukt sei in einer einzigen Nacht erbaut worden, und zwar vom Teufel.
Ein solches Monument – das besterhaltene Werk antiker Baukunst in Spanien – ist natürlich als Weltkulturerbe anerkannt und damit ein Anziehungspunkt für Touristen, die das Aquaedukt schon seit ewigen Zeiten sehr gerne von einem Punkt aus photographieren, der – dem Aquaedukt gegenüber – auf der leicht ansteigenden Straße „Calle San Juan“ am Rande von Segovias Innenstadt liegt. Und genau da, auf der Straßenmauer, sitzt nun der Teufel, als zusätzliche Touristenattraktion gedacht und, nach allem, was man erfahren kann, eifrig genutzt von Touristen, die sich nun dem SEGODEUS auf den Schoß setzen und ein Selfie machen: Ich, Teufel, Aquaedukt.
Zurück zum Gerichtsprozess: Neben einer Reihe verwaltungstechnischer und formaler Gründe führten die Teufelsgegner vor allem drei Argumente an: Das Kunstwerk widerspreche den religiösen Werten und dem Recht auf freie Religionsausübung, indem es die christlichen Glaubensüberzeugungen missachte und außerdem offiziell einen regierungsamtlichen neuen „Gott“, eben den teuflischen SEGODEUS installiere. Ferner missachte das Kunstwerk das immaterielle kulturelle Erbe, indem es den Sinn der lokalen Legende verdrehe. In der Legende erscheine der Teufel nämlich als Verlierer, nicht aber als Sieger, der dick und nackt mit einem selstgerechten Grinsen und einem Mobiltelefon in der Hand posiere. Drittens missachte die Stadtverwaltung die demokratischen Rechte der Bürger, indem sie den Teufel ohne vorherige Volksabstimmung zum Ortsgott inthronsiert habe. Außerdem würden die Schülerinnen eines nahegelegenen Gymnasiums durch den Anblick des unbedeckten – allerdings nicht sehr bedeutend ausgeprägten – Sexualorgans des Teufels in ihren Schamgefühlen verletzt. Ein weiteres Argument des Vereins „San Miguel y San Frutos“ bestand in der Sorge, Segovia könne zu einem Wallfahrtsort der internationalen Satanistenbewegung werden.
Die Gründe, die das Gericht nun zur Abweisung der Klage geführt haben, sind, soweit ersichtlich, bisher nicht förmlich bekannt gemacht worden. Bei einer im Januar bereits ergangenen vorläufigen Entscheidung hatte der zuständige Richter nach Pressemeldungen allerdings erklärt, die religiösen Glaubensüberzeugungen der christlichen Bürgerinnen und Bürger würden nicht beeinträchtigt. Es handele sich lediglich um ein in einer bestimmten Gruppe beheimatetes negatives Gefühl ohne Tatsachengrundlage. Ein solches Störgefühl sei nicht in der Lage, das Handeln der Exekutive in Frage zu stellen. Überdies habe das negative Gefühl in diesem Fall eine allzu deutlich subjektive Färbung, womit wohl gesagt werden sollte, dass die ganze Aktion der frommen Vereinigung hauptsächlich dazu dienen sollte, die sozialistische Bürgermeisterin bei den Kommunalwahlen am 26. Mai 2019 in Schwierigkeiten zu bringen. Schließlich nehme die Skulptur eine lokale Legende in humoristischer Absicht auf und sei deshalb nicht geeignet, als Teil eines Teufelskults wahrgenommen zu werden.
Übrigens: Bei den Kommunalwahlen am 26. Mai 2019 verlor die Sozialistische Partei (PSOE) der Bürgermeisterin Clara Luquero im Gegensatz zum nationalen Trend in Spanien deutlich, gewann aber die meisten Stimmen. Da die konservativen bis rechtsradikalen Parteien ebenfalls keine Mehrheit erhielten, wird Clara Luquero weiterregieren, vorausgesetzt, sie findet einen Bündnispartner. Ob sie einen findet? Weiß der Teufel!