1937

Arbeitsrecht

Ehrverletzung als Kündigungsgrund


Christoph Schmitz-Scholemann

 

In seinem Urteil vom 1.7.1999 (2 AZR 676/98, BB 1999, 2302 ) musste sich das Bundesarbeitsgericht zum wiederholten Male mit einer Kündigung befassen, die wegen rechtsradikaler Äußerungen unter Arbeitskollegen ausgesprochen wurde. Das Gericht hat seine harte Linie beibehalten. Der nachfolgende Aufsatz stellt diese und ähnliche Entscheidungen in den größeren Zusammenhang der Rechtsprechung über verbale Entgleisungen im Arbeitsverhältnis und zeigt, inwieweit es gerechtfertigt ist, für Fälle mit rechtsradikalem Hintergrund Sonderregeln aufzustellen.

 

I.
Ein weites Feld

Fälle verbaler Entgleisungen im Arbeitsverhältnis haben die Gerichte seit eh und je beschäftigt. Die Bandbreite reicht vom Profifußballer, der seinen Trainer als Diktator bezeichnet1, über Pöbeleien auf Betriebsfeiern,2 vom Pfuiruf des Bergarbeiters gegenüber einem Streikbrecher3 bis zur mutigen Angestellten, die in der Nazizeit aus christlicher Überzeugung den ›Deutschen Gruß‹ verweigert,4 vom bekennenden kommunistischen Plakettenträger5 bis zu nachgerade widerwärtigen rassistischen Gehässigkeiten.6 Betroffen sind alle Arbeitnehmerschichten – ob Schweißerlehrling,7 Soubrette,8 Hilfsarbeiterin,9 Lehrer10 oder Bankrevisor.11 In den Grenzbereich dieser Fallgruppe gehören gewiss auch noch andere – hier nur teilweise behandelte – Entgleisungen der Zunge oder der Körpersprache, etwa Nötigungen,12 verbale Überschreitungen gewerkschaftlicher13 und betriebsverfassungsrechtlicher14 Befugnisse, das sogenannte whistle-blowing,15 Verletzung der Grenzen politischer Äußerungsfreiheit,16 sexistische Reden oder Gesten,17 ferner auch beleidigende Äußerungen des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer.18 Insgesamt haben wir hier ein Feld vor uns, das manchmal bizarr ist, weithin auch düster, immer aber mit den Mitteln des Rechts schwer vermessbar. In den Fallschilderungen der veröffentlichten Entscheidungen spiegeln sich hart nebeneinander Grausen und Komik, das Alltagsleben ebenso wie die politische Geschichte, in den Entscheidungsgründen manifestiert sich die Rechtsentwicklung ebenso wie die Unsicherheit der Gerichte in der Bewertung verbaler Verhaltensweisen.

Der Gang meiner Überlegungen wird folgender sein: Zunächst will ich das gewissermaßen ›klassische‹ Fallmaterial – vom unpolitischen Alltagsfall bis zu den meist linksgefärbten ›politischen‹ Fällen der siebziger und achtziger Jahre – darstellen (II). Daran anschließen wird sich eine Wiedergabe des zu Beginn der neunziger Jahre erreichten und vom Bundesverfassungsgericht grundrechtlich verfeinerten Meinungsstandes zur kündigungsrechtlichen Behandlung der hier interessierenden Fälle (III). Inwieweit die Gerichte diese Doktrin angesichts der seit etwa 1993 zu beobachtenden Welle von rechtsradikalen Fallgestaltungen geändert oder beibehalten haben, werde ich im zweiten Teil (IV–VII) meiner Ausführungen untersuchen.

 

II.
Fälle von Ehrverletzung ohne rassistischen Hintergrund

Fall 1:
Der Inhaber einer Werkstatt im Hessischen kündigt seinem Lehrling fristlos. Der Lehrling hatte den Betrieb (anscheinend eine Schweißerei) eine ›Scheißerei‹ genannt.19

Fall 2:
Ein Studienrat für Deutsch und Geschichte, Angestellter des Landes Berlin, zugleich Landesvorsitzender der damaligen Deutschen Partei, hält am 30.1.(!)1953 eine Rede mit dem Titel ›Politik der gesunden Vernunft‹. Er vertritt die Auffassung, man müsse sich endlich wieder zur deutschen Geschichte der Jahre 1933–1945 bekennen, schließlich habe, so behauptet er fälschlich, auch die SPD dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt. Im Saal entsteht ein Tumult. Der Studienrat wird durch ›Dienststrafbescheid‹ fristlos entlassen.20

Fall 3:
Bei einem bunten Abend in der Nähe eines Hüttenwerkes besorgt ein Hilfsarbeiter der Hütte die (wir sind in den fünfziger Jahren!) Conférence. Der Hilfsarbeiter/Conférencier erzählt folgenden Witz: Ein Lehrling fragt seinen Meister ständig nach Urlaub. Als der Meister den Vater des Lehrlings zu sich bestellt und sich über die merkwürdige Urlaubssucht des sonst ganz anstelligen Sohnes beschwert, antwortet der Vater: ›Das dürfen Sie meinem Jungen nicht übel nehmen, der war als Kind einmal krank und hat damals eine Bluttransfusion vom Arbeitsdirektor bekommen.‹ Das Hüttenwerk kündigt dem Hilfsarbeiter fristlos: Er habe – was offenbar stimmte – den Witz nicht nur allgemein erzählt, sondern auf den Arbeitsdirektor F. der Hütte anspielen wollen; darin liege eine grobe Beleidigung, zumal Veranstalter des bunten Abends der (kommunistisch geprägte) Demokratische Frauenbund war.21

Fall 4:
Im Lauf einer erregten Auseinandersetzung zwischen Meister und Arbeiterin Anfang der sechziger Jahre tippt sich der Meister mit dem Finger an den Kopf, es fällt der Ausdruck ›Du Jeck!‹, und schließlich gibt die Arbeiterin dem Meister jenen so selten befolgten Rat, den die Gerichte mit ›Götz-Zitat‹ zu umschreiben pflegen. Der Arbeitgeber kündigt fristlos,22 unter anderem offenbar mit dem Hinweis, einem Mann vom Bau könne man solche Derbheiten vielleicht durchgehen lassen, bei einer Frau liege die Sache aber auf einer anderen Ebene.

Fall 5:
Der Fahrer in einer kleinen Spedition ruft – der Fall spielt Mitte der 90er Jahre – eines Tages beim Geschäftsführer zu Hause an, um ihn etwas zu fragen. Der Geschäftsführer antwortet, so behauptet jedenfalls der Fahrer später im Prozess: ›Du störst mich beim Bumsen!‹ Einige Zeit später kommt es im Betrieb zu einer Auseinandersetzung, auf deren Höhepunkt der Fahrer in äußerster Erregung zum Geschäftsführer in Gegenwart mehrerer, auch weiblicher, Angestellter sagt: ›Sie haben doch nur Bumsen im Kopf!‹23

Fall 6:
1995: Ein Fußballtrainer24 über seinen Vereinspräsidenten: ›Was der Präsident sagt, geht mir am Arsch vorbei.‹

Fall 7:
Am 5. November 1979 erscheint ein Arbeiter zur Morgenschicht mit einer auf seinem Arbeitsanzug angehefteten 12 bis 15 cm großen Plakette. Auf der Plakette ist eine Karikatur des damaligen Kanzlerkandidaten der CDU/CSU, Dr. Franz Josef Strauß. Das Konterfei ist von zwei Strichen durchkreuzt. Darum herum geht die Aufschrift ›Strauß – nein danke‹. Zunächst kümmert sich niemand um die Plakette. Gegen 9.00 Uhr fragt ein Betriebsratsmitglied den Arbeiter, ob er das dürfe; die offenbar bejahende Antwort bringt nun eine Lawine ins Rollen: ein Kollege, ein Meister, der Personalleiter und schließlich der Technische Direktor versuchen den Plakettenträger zur Abnahme der Plakette erst zu überreden, dann zu drängen und schließlich mit mehreren Abmahnungen zu zwingen – vergeblich. Daraufhin kündigt der Arbeitgeber fristlos.25

Fall 8:
Ein 1960 geborener Auszubildender absolvierte bei einem Automobilkonzern eine Ausbildung zum Betriebsschlosser, die er im Januar 1982 erfolgreich abschliesst. Im Frühjahr 1981 veröffentlichte er in der Schülerzeitung seiner Berufsschule einen Artikel über seine Eindrücke von einer Demonstration gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf. In dem Artikel heißt es u. a.:

»Wir haben auch absolut nicht vor, uns von so genannten militanten Demonstranten zu distanzieren. Die Gewalt, die hier von Staat und Wirtschaft ausgeübt wird, rechtfertigt jede Art von Widerstand. Dies soll kein Aufruf zu Gewalttaten sein, sondern vielmehr klarmachen, dass sich die Atomkraftgegner, genauso wie Hausbesetzer und andere, dem Staat unliebsame Leute nicht in ›gewalttätige‹ und ›gewaltlose‹ Lager spalten lassen sollen. Der Kampf gegen den Atomtod sollte so langsam jeden beschäftigen, und auch nach dem 28. Februar wird er weitergehen, nicht nur in Brokdorf, sondern überall auf der Welt.«

Nachdem der junge Mann seine Gesellenprüfung bestanden hat, teilt ihm der Ausbildungsbetrieb mit, er sei nicht in der Lage, ihn nach Abschluss seiner Ausbildung zu übernehmen; alle anderen Lehrlinge waren, soweit sie dies wünschten und die Prüfung bestanden hatten, übernommen worden.26 Der junge Mann klagt auf Abschluss eines Arbeitsvertrags.

 

III.
Die herrschende Meinung Anfang der 90er Jahre

Mit dem Fall des Kernkraftgegners (oben Fall 8) beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht27 in seinem Beschluss vom 19.5.1992. Fügt man die dort niedergelegten Grundsätze den in der arbeitsrechtlichen Literatur und Judikatur entwickelten hinzu, so rundet sich das Bild wie folgt:

  1. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG

Zentralnorm ist Art. 5 GG. Die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungsfreiheit ist von fundamentaler Bedeutung für die Menschenwürde. Die Fähigkeit zu sprachlicher Äußerung unterscheidet den Menschen von anderen Lebewesen. Die Sprache eines Menschen steht in einem vitalen Zusammenhang mit seiner Persönlichkeit. Sprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel, Sprache ist Atem und Leben. Überdies hat die Meinungsfreiheit eine ebenso fundamentale Bedeutung für die Demokratie, in der es kein Werte- und kein Wahrheitsmonopol gibt. Was wahr und falsch, gut und richtig ist, soll im ungehinderten Austausch und Streit der Meinungen immer wieder neu ausgehandelt werden.28 Deshalb müssen Behinderungen dieser Freiheit so gering wie möglich sein. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG differenziert nicht nach dem Wert oder Unwert einer Äußerung,29 nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung soll nicht einmal nach Tatsachenbehauptung und Werturteil differenziert werden.30 Es gilt der – leicht abgewandelte – Wahlspruch der französischen Tageszeitung Le Figaro: »Ein wahres Wort ist nur da von Wert, wo das falsche Wort erlaubt ist.«

Auch im Arbeitsverhältnis gilt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.31 Im Betrieb kann grundsätzlich jeder reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Übrigens: Freiheit ist unteilbar: Auch Äußerungen des Arbeitgebers und seiner Vertreter sind durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt, ein Gesichtspunkt, dem die Gerichte in Zeugnis- und Abmahnungsstreitigkeiten durchaus größere Beachtung schenken sollten.

  1. Art. 5 Abs. 2 GG

Das Recht der Meinungsfreiheit gilt nicht uneingeschränkt: Es findet seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG).

Was heißt das für das Arbeitsverhältnis? Sicher heißt es nicht, dass die Meinungsfreiheit nur nach Maßgabe des Direktionsrechtes ausgeübt werden kann. Andererseits ist der Arbeitsplatz nicht ›Speakers Corner‹. Die klarste und bis heute gültige Formulierung stammt von Rudolf Smend aus dem Jahre 1928:

»Die besondere Gewährleistung der Redefreiheit schließt nicht aus, dass das Dienstverhältnis seinem eigenen rechtlichen Sinn nach der Meinungsäußerung vielfach im Wege ist; aber sie schließt aus, dass durch Geltendmachung des Dienstverhältnisses die Äußerungsfreiheit behindert wird, lediglich, um sie zu hindern, ohne Rechtfertigung aus dem rechtmäßigen eigenen Rechtszweck des Dienstverhältnisses heraus.«32

Zu den allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG können also – neben den öffentlich-rechtlichen Normen – nur solche Normen gehören, die sich darauf beschränken, die Funktionsfähigkeit des Arbeitsverhältnisses zu gewährleisten, also etwa das Arbeitsvertragsrecht, das Kündigungsrecht, die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (§ 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG 1972),33 ferner auch die einschlägigen Strafbestimmungen, vor allem die §§ 185 ff. StGB, ferner auch §§ 130 StGB (Volksverhetzung), 131 StGB (Aufstachelung zum Rassenhass), 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen) und 86 a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen). Allerdings reicht die Verwirklichung eines Straftatbestands für sich genommen nicht immer aus. Die strafbare Handlung muss im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen,34 eine Beleidigung muss grob sein, sie muss sich gegen den Arbeitgeber, seinen Vertreter oder gegen einen Kollegen richten; Beleidigungen Dritter reichen grundsätzlich nicht aus.35 Ferner muss eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses vorliegen, und zwar entweder im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter (Betriebsfrieden), im personalen Vertrauensbereich oder im Unternehmensbereich. Schließlich ist eine Kündigung in der Regel nur gerechtfertigt, wenn für die Zukunft mit einer Fortsetzung oder Wiederholung der Störung zu rechnen ist (Prognoseprinzip ).36

Nach Meinung des BAG gehören zu den allgemeinen Gesetzen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG, die das Recht der Meinungsfreiheit einschränken, auch die anerkannten Grundsätze des Arbeitsrechts, zu denen nicht nur etwaige tarifvertragliche oder vertragliche Mäßigungspflichten bei Tendenzträgern oder Angehörigen des öffentlichen Dienstes, sondern auch die richterrechtlichen Ausprägungen des »Betriebsfriedens‹ und der Loyalitätspflichten zählen sollen.37 Das ist problematisch: Da der ›Betriebsfrieden‹ vom Bundesarbeitsgericht gelegentlich schon dann als verletzt angesehen wird, wenn auch nur

ein einziger Betriebsangehöriger sich gestört fühlt – und sei es auch ein Vertreter des Arbeitgebers –, wird nicht ohne Grund eingewandt, das BAG habe Art. 5 GG auf dem Umweg über die anerkannten Grundsätze des Arbeitsrechts unter einen unbeschränkten Harmonievorbehalt gestellt.38

Die allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG müssen ihrerseits immer im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG gesehen werden. Selbst wenn man also den Bereich der Normen, die als allgemeine Gesetze anzusehen sind, sehr ausweitet, wird eine Betriebsordnung, die jede politische Meinungsäußerung im Betrieb untersagt, mit Sicherheit ebenso unwirksam sein wie eine Vertragsbestimmung oder eine auf Direktionsrecht gestützte Anordnung, die dem Arbeitnehmer einschränkungslos verbietet, seine parteipolitische Meinung im Betrieb darzutun – von Sonderfällen wie z.B. Tendenzbetrieben abgesehen.

  1. Die Bedeutung des Art. 5 GG für die Arbeit des Tatrichters

Art. 5 GG wirkt nicht nur auf der Normebene. Das heißt: Nicht nur Gesetze, Verträge, Richterrecht müssen Art. 5 GG berücksichtigen, sondern auch die Auslegung verbaler Äußerungen muss so geschehen, dass ein möglichst hohes Maß an Freiheit erhalten bleibt.39 Konkret: Wenn es für eine Äußerung mehrere Auslegungsmöglichkeiten gibt, von denen einige als Gesetzesverstoß, andere aber als nicht anstößig anzusehen sind, dann darf nicht ohne weiteres nur die anstößige Auslegung zugrunde gelegt werden.40 Die Gerichte sind von Verfassungs wegen gezwungen, alle die unbequemen (weil Aufklärungsarbeit verursachenden) Fragen wie die nach den branchenüblichen oder landsmannschaftlichen Umgangsgepflogenheiten, nach Jargon, Kommunikationszusammenhang, Alter, Gesundheitszustand etc. zu berücksichtigen, auch auf den ersten Blick zweifelhaften Einwänden nachzugehen wie dem, es   sei ein Witz gewesen oder ein ›nach innen gerichteter Selbstfluch‹, wie ein spanischer Arbeiter geltend machte, dem in Gegenwart seines Vorarbeiters die Worte ›hijo de puta‹ entschlüpft waren.41 Freilich war es für einen lebensnahen Richter auch schon früher eine Selbstverständlichkeit, bei der Bewertung verbaler Äußerungen mit Sorgfalt die Vorgeschichte und die Begleitumstände zu würdigen und nicht ›mit der Goldwaage auf den Kartoffelmarkt zu gehen‹.

  1. Lösungen der unter II. dargestellten Fälle

Wir wollen dieses Kapitel nicht abschließen, ohne noch einmal kurz auf die oben geschilderten Fälle zurückzukommen.

Im Fall 1 fand das Gewerbegericht Offenbach, der Ausdruck ›Scheißerei‹ sei eine grobe Beleidigung, stellte aber fest, dem Arbeitgeber sei es nicht gelungen nachzuweisen, wann (vor oder bei oder nach der Kündigung) der Lehrling das böse Wort gesagt hatte.

Im Fall 2 sah das BAG die besondere Pflicht des öffentlichen Bediensteten zur Mäßigung als ›allgemein anerkannten Grundsatz des Arbeitsrechts‹ an; dies sei ein ›allgemeines Gesetz‹ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, das der Kläger verletzt habe; die Entlassung sei deshalb als fristgemäße wirksam.42

Im Fall 3 hatte das LAG Hamm die fristlose Kündigung bestätigt; das BAG meinte dagegen, die Umstände (bunter Abend) wiesen doch eher auf einen heiteren Charakter der Äußerung; ein souveräner Chef müsse das vertragen können; es verwies zur näheren Aufklärung zurück.

Im Fall 4 bewertete das LAG Düsseldorf den Gebrauch des ›Götz-Zitates‹ angesichts des üblichen Umgangstones auf Baustellen als nicht beleidigend und wies das Argument des Arbeitgebers, für Frauen müßten strengere Regeln gelten, als nicht mit Art. 3 GG vereinbar zurück.

Im Fall 5 wies das LAG Köln die Klage ab, weil es auf einer ›ganz anderen Ebene‹ liege, wenn der Chef zum Angestellten – also ›unter Männern‹ – von ›B……‹ rede, als wenn umgekehrt der Angestellte dieses Wort gegenüber dem Chef benutze – noch dazu in Gegenwart von Frauen.

Im Fall 6 sagte das Arbeitsgericht Kaiserslautern, die gebrauchte Redewendung sei jugendlicher Jargon und heiße nicht mehr als ›ist mir egal‹; bei dieser Lage fehle es am ›animus iniurandi‹.

Im Fall 7 bestätigte das BAG die fristlose Kündigung, weil der Betriebsfrieden konkret gestört worden sei; auf Art. 5 GG könne sich der Kläger nicht berufen, weil die richterrechtlich entwickelten Grundsätze über den Betriebsfrieden ›allgemeine Gesetze‹ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG seien.

Im Fall 8 (Brokdorf) hob das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1992 das 8 (!) Jahre vorher gefällte, klagabweisende Urteil des BAG auf und führte u.a. aus:

»Selbst wenn (der) Artikel (in der Schülerzeitung) als Befürwortung von Gewalt gegen den Bau von Kernkraftanlagen zu deuten wäre, stünde damit noch nicht fest, dass er damit auch die gewaltsame Lösung betrieblicher Konflikte befürworten würde. Schlüsse von einer einmal geäußerten Meinung auf die Persönlichkeit des sich Äußernden sind besonders weittragend. Hier hätte bedacht werden müssen, dass der Beschwerdeführer damals ein Lernender war, von dem noch nicht erwartet werden konnte, dass er seine Auffassung mit der gebotenen Differenziertheit und Abgewogenheit wiedergibt. Überzeichnungen, Kraftsprüche und radikale Ansichten sind zudem bei Äußerungen junger Menschen häufig anzutreffen, ohne dass darin bereits notwendig Charaktereigenschaften oder auch nur eine verfestigte Weltsicht zum Ausdruck kämen. Charakter und Anschauungen formen sich erfahrungsgemäß erst mit zunehmendem Alter und wachsender Lebenserfahrung. Engagierte, überzeichnete und inhaltlich angreifbare Meinungsäußerungen dürfen daher bei Jugendlichen nicht in gleicher Weise auf die Goldwaage gelegt werden wie bei gereiften Menschen. Das gilt vor allem, wenn ihnen eigene, emotional stark bewegende Erlebnisse zugrunde liegen. Wer befürchten muss, dass seine Äußerungen zu einer negativen Bewertung seines Charakters und einer entsprechenden Einschätzung seines künftigen Verhaltens führen, wird sich besondere Zurückhaltung auferlegen. Eine solche Bewertung ist daher in hohem Maß geeignet, ihn in der Ausübung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung zu behindern …«

 

IV.
Fälle mit rassistischer/ausländerfeindlicher Prägung

Mit den eben wiedergegebenen Grundsätzen ist die rechtliche Ausgangslage Anfang der neunziger Jahre beschrieben, als den Arbeitsgerichten – man möchte fast sagen: wie aus heiterem Himmel – Fälle unterbreitet wurden, die den Blick in die Schlangengrube des professionellen rechtsradikalen Fanatismus ebenso lenkten wie auf das, was man einen gedankenlosen Alltagsfaschismus nennen könnte – und auf die Mischung aus beidem.

Fall A:

Ein Lehrer im Angestelltenverhältnis43 behandelt im Englisch-Unterricht der 10. Klasse das Thema ›Erfinder und ihre Erfindungen‹. Er sagt, alle bedeutsamen Erfindungen seien amerikanischer Herkunft, worauf ein Schüler entgegnet, für die Pizza gelte das nicht. Der Lehrer wartet nun mit folgendem ›Witz‹ auf:

›What’s the difference between a pizza and a Jew? If you put a pizza into the stove, it doesn’t scream and shout.‹

Diesen ›Witz‹ hatte der Lehrer schon einmal in der Jahrgangsstufe 13 erzählt. Im Prozess bestritt der Lehrer, über den ›Witz‹ wirklich gelacht zu haben. Er habe ihn nur als Beispiel für ethnische Vorurteile erzählt, wobei er ein bissiges, kurzes Lachen angefügt habe, mit dem Zweck, die Schüler zum Nachdenken anzuregen. Auf Rückfrage der Schüler, wie er so etwas erzählen könne, habe er erwidert, nicht er empfinde so etwas als witzig, sondern andere Leute. Er habe die Schüler zu einer kritischen Stellungnahme aufgefordert und Kritik und Widerspruch hervorrufen wollen. Überdies habe das Thema ›Juden‹ für ihn als Amerikaner keinerlei Tabucharakter.

Fall B:

Dem mit Prokura ausgestatteten Leiter der Revisionsabteilung44 einer Bremer Privatbank wird vorgeworfen, sich folgendermaßen mit Bezug auf den jüdischen Geschäftsführer geäußert zu haben: ›Diese alte Judensau, dieses dumme Judenschwein, den haben sie damals vergessen zu vergasen … das ist ein Jude, und Du weißt doch, was man damals mit den Juden gemacht hat … der spielt mit der einen Hand an seiner goldenen Uhr und mit der anderen an seinem beschnittenen Pimmel.‹

Fall C:

Ein seit 1978 beschäftigter Tischler45 in einem Landesmuseum (Arbeitsplatz im Keller) vervielfältigt ein Schriftstück, das eine Putzfrau gefunden und ihm gebracht hat. Der Text ist überschrieben mit ›Der Asylbetrüger in Deutschland‹. Er hat – auszugsweise – folgenden Wortlaut:

»Geliebt von der CDU bis zur FDP und ganz besonders von der SPD und den Grünen. Ausgehalten vom deutschen Steuerzahler, der den Betrug auch noch finanzieren muss. Und so siehts aus:

Herr Asylbetrüger, na wie geht’s??
Oh, ganz gut, bring Deutschen Aids Komm direkt aus Übersee, hab Rauschgift mit, so weiß wie Schnee, verteil im Sommer wie im Winter sehr viel davon an deutsche Kinder. Muss nicht zur Arbeit, denn zum Glück schafft deutsches Arschloch in Fabrik. Hab Kabelfernsehen, lieg im Bett werd langsam wieder dick und fett zahl weder Miete, Strom noch Müllabfuhr, das müssen dumme Deutsche nur … Ich liebe Deutschland – wo noch auf der Welt gibt’s für Asylbetrug auch noch Geld Ist Deutschland pleite, fahr ich heim, und sag leb wohl, Du Nazi-Schwein.«

Der Tischler befestigt die Abzüge an einer Pinnwand. Einige Tage später empört sich eine Mitarbeiterin über den Text und informiert den Museumsleiter und die Presse. Der Arbeitgeber schaltet die Kriminalpolizei ein. Der Museumsleiter entfernt und vernichtet die restlichen Exemplare und forderte den Kläger auf, es in Zukunft zu unterlassen, derartige Schriftstücke aufzuhängen. Nachdem die Lokalpresse sich des Falles angenommen und der DGB-Kreisvorsitzende die ›Entfernung des ausländerfeindlichen Demagogen aus dem Beschäftigungsverhältnis und auch disziplinarische Maßnahmen gegen den Museumsdirektor‹ gefordert hat, entschuldigt sich der Kläger. Der Arbeitgeber schaltet nunmehr den Gesamtpersonalrat ein, um seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers einzuholen, teilte dies dem Kläger mit und lädt ihn zu einer Anhörung vor den Gesamtpersonalrat. Der Kläger unterzeichnet schließlich eine Eigenkündigung, die er dann vor Gericht wegen Drohung nach § 123 BGB anficht.

Fall D:

Zwei 18 und 16 Jahre alte Auszubildende46 in einem betrieblichen Ausbildungszentrum fertigen im Februar 1997 ein Blechschild mit der Aufschrift ›ARBEIT MACHT FREI – TÜRKEI SCHÖNES LAND‹. An den Rand schreibt einer der Auszubildenden das Wort ›DÖNER‹. Beide zusammen befestigen das Schild an der Werkbank des türkischen Auszubildenden D. Dieser beschwert sich beim Ausbildungsleiter. Die dann eingeleitete Untersuchung fördert u.a. zu Tage, dass jedenfalls einer der beiden einige Zeit vorher in der Werkstatthalle mit anderen so genannte ›Auschwitz-Lieder‹ gesungen hatte; eines der Lieder hieß ›Auschwitz – wir kommen!‹ und es enthielt Wendungen wie ›Panzer müssen rollen!‹ und ›die Juden treiben‹ und ›die Öfen bereit machen‹. Die Auszubildenden werden fristlos gekündigt. Sie verteidigen sich damit, sie hätten nicht richtig gewusst, was sie getan hätten, sie hätten sich bei dem türkischen Kollegen D. entschuldigt, was dieser akzeptiert habe, sie hätten ausländische Freunde, im Übrigen habe in der ganzen Gruppe eine rechtsradikale Grundstimmung bestanden, die den Ausbildern bestens bekannt sei. Einer der Ausbilder habe die Gruppe gelegentlich mit dem Ruf ‚Arbeit macht frei!‘ zur Arbeit ermahnt.

 

V.
Reaktion der Gerichte auf Fälle mit rechtsradikalem Hintergrund

Wie haben die Gerichte darauf reagiert? Nun, dass in Fällen wie dem des Bremer Bankrevisors nicht ernsthaft über die Rechtfertigung der Kündigung gestritten werden kann, liegt auf der Hand. Im Übrigen kann man, etwas vereinfachend, zwei Denkschulen unterscheiden.

  1. Anwendung der herkömmlichen kündigungsrechtlichen Grundsätze

Einige Gerichte wendeten ohne Einschränkung die oben (III) wiedergegebenen Grundsätze an einschließlich des dazugehörigen, liberalen Maßstäben und differenzierender Fallbetrachtung47 verpflichteten Instrumentariums: So hielten die Landesarbeitsgerichte in den Fällen A (Studienrat) und C (Museumsarbeiter) die ausgesprochenen bzw. beabsichtigten Kündigungen für überzogen, weil es sich doch eher nicht um ›Unverbesserliche‹ gehandelt habe; Abmahnungen hätten ihre Wirkung tun können. Im Fall D (16jähriger Lehrling) betonte das LAG auch das jugendliche Alter und die Verpflichtung des Ausbilders, erzieherisch auf den Jugendlichen einzuwirken.48

  1. ›Ausländerfeindlichkeit/Rassismus‹ als Kündigungsgrund per se?

Die Gegenmeinung erklärt ohne langes Federlesen nahezu jede Kündigung, deren Anlass eine ausländerfeindliche oder sonst rechtsradikale Äußerung ist, für begründet, ohne sich um Meinungsfreiheit, Prognoseprinzip u. ä. allzusehr zu kümmern. Sucht man in diesen Entscheidungen nach dem Kern der Begründung, so lautet er etwa: Ausländerfeindlichkeit oder Rechtsextremismus ist ein Kündigungsgrund per se, mit Besserung ist nie zu rechnen, weshalb eine Abmahnung prinzipiell nicht ausreicht. So sagt etwa das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 2.1.199549 ohne Wenn und Aber:

»Es ist dem Arbeitgeber, der Jugendliche ausbildet, nicht zuzumuten, einen Arbeitnehmer zu beschäftigen, der ausländerfeindliche Tendenzen offen zur Schau trägt.«

Ähnlich argumentieren etwa das Arbeitsgericht Bremen, die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin im Fall des 18-jährigen Lehrlings (Fall D)50 und letztlich wohl auch das Bundesarbeitsgericht. Sowohl im Fall des Studienrats (Fall A) als auch im Fall des Museumsarbeiters (Fall C) war das BAG der Auffassung, das Verhalten der Betreffenden sei schlechthin unentschuldbar gewesen; die doch immerhin nicht fernliegende Frage, ob Artikel 5 GG eine Rolle spielen könnte, schneidet das BAG in diesen Entscheidungen nicht an. In seinem Urteil vom 1.7.1999 (16-jähriger Lehrling – Fall D) sieht das BAG allein das Anschrauben des Schildes ›Arbeit macht frei – Türkei schönes Land‹ als wichtigen Grund zur Kündigung an. Die vom Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Fall (oben Fall 8) aufgestellte Forderung, ›Kraftsprüche und radikale Ansichten‹ dürften bei Jugendlichen nicht auf die Goldwaage gelegt werden, erwähnt das BAG nicht. Auf Art. 5 GG könne sich der Kläger nicht berufen. Es gebe zwar keinen Kündigungsgrund ›Ausländerfeindlichkeit‹, aber der Kläger habe die Gruppe gestört, das Ansehen des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit gefährdet und langwierige Aufklärungsmühen der Vorgesetzten verursacht sowie Arbeitszeit zweckwidrig verwendet. In teilweiser Abkehr vom Prognoseprinzip hält das BAG eine Abmahnung trotz etwa bestehender Aussichten, dass der Kläger sich bessern könne, für wohl entbehrlich51, weil es offenbar ausländerfeindliche Verhaltensweisen als schlechthin unentschuldbar ansieht – womit der Sache nach dann doch ein Kündigungsgrund ›Ausländerfeindlichkeit‹ konstituiert wäre.

  1. Kritik

Man wird, was das Ergebnis betrifft, dem Bundesarbeitsgericht seine harte Haltung nicht vorwerfen; den Gekündigten ist Recht geschehen. Die in den Entscheidungen des BAG zum Ausdruck kommende Haltung vermittelt das gute Gefühl, dass die Justiz – manchem gern gepflegten Vorurteil zum Trotz – auch auf dem rechten Auge nicht blind ist. Trotzdem: Was der französische Schriftsteller André Gide in Bezug auf die Kunst des Schriftstellers sagte, nämlich: Es sind immer die guten Gefühle, mit denen man schlechte Literatur macht – könnte das nicht auch für die Kunst der Rechtsprechung gelten? Ich meine,   es gebe in den hier betroffenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts mindestens drei problematische Punkte, was die Begründung und damit vor allem die Wirkung für die Zukunft betrifft:

(1) Der eine Punkt ist die Behandlung bzw. Nichtbehandlung des Art. 5 GG. Nach bisher unbestrittener Auffassung gilt die Meinungsfreiheit grundsätzlich für alle, auch die falschesten und dümmsten Äußerungen, also auch für rechtsradikale. Dabei geht es natürlich nicht um eine inhaltliche Rechtfertigung oder auch nur Verharmlosung rassistischer Redensarten, sondern es geht darum zu verhindern, dass durch die bloße Kennzeichnung einer Äußerung als ›rechtsradikal‹ oder ›ausländerfeindlich‹ jede weitere Diskussion abgeschnitten und der Blick auf Begleitumstände, Jargon, Lebensalter etc. verhindert wird. Wie falsch und ungerecht so etwas sein kann, zeigt ein Fall, der vom Arbeitsgericht Düsseldorf zu entscheiden war: Ein jugoslawischer Arbeiter sagte zu seinem Chef, der ihn zur Arbeit ermahnte: ›Ich bin doch nicht Dein Neger!‹ Der Arbeitgeber kündigte fristlos wegen rassistischer Äußerungen und hielt dem Jugoslawen in der Kündigung vor, gerade er ›als Ausländer‹ solle sich zurückhalten.52 Hätte das Bundesarbeitsgericht in den Fällen A (›Juden-Witz‹), C (Museumsarbeiter) und D (16-jähriger Lehrling) sich überhaupt bzw. etwas eingehender mit Art. 5 GG auseinander gesetzt, so hätte es nicht nur fragen müssen, ob der halbwüchsige Lehrling wirklich das sagen wollte, was seine Worte bedeuteten, es hätte auch, und das scheint mir noch wichtiger zu sein, die Frage prüfen müssen, ob es nicht ›allgemeine Gesetze‹ gibt, die in concreto das Grundrecht der Meinungsfreiheit einschränkten. Vielleicht wäre es bei der Suche auf Art. 1 GG gestoßen; damit wäre der Blick auf den vorzivilisatorischen Kern des rassistischen Übels frei geworden, der eben darin liegt, dass der Rassist dem anderen nicht nur ablehnend oder feindlich gegenübersteht, sondern dass er ihn als Menschen ablehnt, ihm die Würde und das Lebensrecht streitig macht. Mich würde eine solche Argumentation mehr überzeugen als der doch eher leere Rekurs auf Evidenz-Appelle von der Art ›einfach nicht hinnehmbar‹ etc.

(2) Ein weiterer Punkt ist das Prognoseprinzip, das ja unter anderem besagt, dass man eine Kündigung nicht mit einer Strafe verwechseln darf. Die Kündigung dient von Hause aus nicht der Sühne und auch nicht der Generalprävention; so richtig es auch ist, Rassismus zu bekämpfen, so bleibt doch die Kündigung in allererster Linie ein zivilrechtliches Mittel zur Lösung eines Dauerschuldverhältnisses. Will man diesen Grundsatz wirklich über Bord werfen? Immerhin erklärte im Jahre 1978 das LAG Düsseldorf die Kündigung eines Bankangestellten – mangels Abmahnung – für unwirksam, der im Zusammenhang mit der Ermordung des Generalbundesanwalts Buback und des Bankiers Ponto gesagt hatte: ›Der Kriegsverbrecher Buback ist hingerichtet worden‹ bzw. ›da ist eben ein Kapitalist weniger‹.53

(3) Der dritte Punkt ist der, den wir oben unter den Stichworten ›Kommunikationszusammenhang‹ und ›Jargon‹ behandelt haben. Wie vertrackt und wie wenig geeignet für vereinfachende, tabuisierende und bekenntnishafte Lösungen manche Fälle sind, will ich an einem weiteren Fall demonstrieren: Vor einem Jahr hatte meine Kammer über die Kündigung eines Flughafenarbeiters zu entscheiden, dem eine Kette von – für sich genommen – eindeutig rassistischen Reden vorgeworfen wurde; der Betriebsrat widersprach, und ein türkisches Betriebsratsmitglied (zugleich tätig in einer Bürgerinitiative gegen Ausländerfeindlichkeit) erläuterte dies dahingehend, die Äußerungen des Arbeiters seien zwar schlimm, aber als Rassisten im eigentlichen Sinne sehe er ihn nicht an, wenn man diesem Arbeiter kündige, müsse man dem ganzen Flughafen kündigen, und zwar einschließlich der dort beschäftigten Ausländer aller Farben. Ich meine, die Gerichte müssten sich auch vor der Gefahr einer Heuchelei vom grünen Tisch aus hüten: Wir Juristen gehören meistens nicht Kreisen an, in denen z.B. Ausländer als soziale Konkurrenten um Arbeitsplatz, Wohnung, Kindergartenplatz etc. empfunden werden; da ist es leicht, eine angemessene Sprache zu pflegen und zu fordern; sind wir wirklich sicher, dass unter unseren weißen Hemden und schwarzen Roben nichts als multikulturelle Milde schlummert und keine Ressentiments, die zum Vorschein kämen, wenn es einmal wirklich eng würde?

 

VI.
John Rawls: Das Problem der intoleranten Sekten

In sehr viel ernsterer Form als wir heute stand das Reichsarbeitsgericht in seinem Urteil vom 19.12.193154 vor der Frage, inwieweit das Grundrecht der Meinungsfreiheit von Rechtsradikalen reklamiert werden kann: Ein Polizeiarzt und NSDAP-Aktivist wurde vom Lande Preußen gekündigt, weil die NSDAP den gewaltsamen Umsturz der Verfassung betreibe. Der erklärte Nazi und Polizeiarzt berief sich auf Art. 118 Abs. 1 Satz 2 WRV (in etwa entsprechend Art. 5 GG), also ein liberales Grundrecht, das abzuschaffen Ziel seiner Partei war. Das RAG verwies den Fall an das LAG zurück; das LAG sollte – im Nachhinein liest es sich wie ein zynischer Scherz – die Frage untersuchen, ob die NSDAP den gewaltsamen Umsturz betreibe. Die schreckliche Antwort auf diese Frage hat die Geschichte gegeben. Vor ähnlichen Problemen glaubten BAG und BVerwG in den siebziger Jahren gegenüber DKP-Mitgliedern zu stehen; und tatsächlich sah die von der DKP vertretene Spielart des Kommunismus Meinungsfreiheit im bürgerlichen Sinne gewiß nicht vor.

Der amerikanische Rechtsphilosoph John Rawls spitzt das Dilemma zu: er nennt es das Problem der intoleranten Sekten. Am Beispiel des Verhältnisses zwischen toleranten und intoleranten Religionsgemeinschaften führt er aus:55

»Man muss mehrere Fragen unterscheiden. Erstens: Hat eine intolerante Sekte das Recht, sich zu beklagen, wenn sie nicht toleriert wird? Zweitens: Unter welchen Bedingungen haben tolerante Sekten das Recht, intolerante nicht zu dulden? Drittens: Wenn sie dieses Recht haben, zu welchen Zwecken dürfen sie es in Anspruch nehmen?«

Rawls nimmt an, intolerante Sekten hätten kein Recht, sich über Intoleranz anderer zu beklagen, denn:

»Man hat nur das Recht, sich über Verletzungen von Grundsätzen zu beklagen, die man selbst anerkennt. Eine Klage wendet sich aufrichtig an einen anderen. Sie rügt eine Verletzung von Grundsätzen, die beide Seiten anerkennen.«

Daraus, so Rawls, folge nicht zwangsläufig das Recht der Toleranten zur Unterdrückung der Intoleranten, denn immerhin bleibe die Unterdrückung in jedem Fall eine Verletzung der Toleranz. Zulässig sei eine solche Unterdrückung jedoch, wenn die Toleranten »ehrlich und mit guten Gründen glauben, dies sei für ihre eigene Sicherheit notwendig. Die Gerechtigkeit verlangt nicht, dass die Menschen untätig zusehen, wenn ihre eigene Existenzgrundlage von anderen zerstört wird.«

Handele es sich dagegen um eine zwar intolerante, aber schwache und nicht wirklich bedrohliche Sekte, so solle eine wohlgeordnete Gesellschaft Vertrauen in die Stabilität ihrer Einrichtungen haben und darauf setzen, dass sie die Intoleranten durch praktisch geübte Toleranz auf den rechten Pfad führen kann.

»Die Gerechten sollen sich von den Grundsätzen der Gerechtigkeit leiten lassen und nicht davon, dass die Ungerechten sich nicht beklagen können.«

 

VII.
Ausblick

Wir sehen: Auch der Rechtsphilosoph kann das Dilemma nicht auflösen, um wie viel weniger die Richter! Es gibt keine Doktrin, die ein für allemal Klarheit schafft. Das belegt die Diskussion in der Literatur zu den hier angeschnittenen Fragen.56 Ich glaube auch nicht, dass, wie manche vorschlagen, der Gesetzgeber – etwa in Anlehnung an das Beschäftigtenschutzgesetz – helfen kann.57 Das Beschäftigtenschutzgesetz hat, wie man aus vielen Betrieben hört, eher zu einer Ridikülisierung des Problems beigetragen, das es lösen sollte: An manchem Schwarzen Brett hängt dieses Gesetz hauteng neben Pin-Up-Girls.

Der südafrikanische Erzbischof Tutu sagte kürzlich: Der Rassismus ist ein Relikt aus der Zeit, als die Menschen in Horden lebten; er war damals überlebensnotwendig, weil man Freund und Feind nur nach dem Aussehen unterscheiden konnte; man kann diesen Rassismus nicht mit Gesetzen aus den Herzen der Menschen verbannen; aber man muss ihn bekämpfen und überwinden, weil ein Überleben der Menschheit unter heutigen Bedingungen nur ohne Rassismus möglich ist. Bei der Würdigung insbesondere rassistischer Meinungsäußerungen wird man bei näherem Zusehen oft feststellen, dass sie sich in keinen rational fassbaren Zusammenhang, in kein weltanschaulich oder politisch durchdachtes Konzept einfügen. Das unterscheidet sie von den Fällen mit linksradikaler Prägung, hinter denen häufig systematische, wenn auch gelegentlich verfassungswidrige Denkgebäude und Strategien stehen. Die rassistischen Ausfälle richten sich oft ausschließlich gegen die Würde, ja das Lebensrecht anderer Menschen und damit gegen den gesellschaftlichen Minimalkonsens. Sie sind im Grunde genommen nicht politisch, sondern im Gegenteil antipolitisch und antizivilisatorisch. Es ist das Antlitz des Hordenmenschen der Steinzeit, das sich hier zeigt. Dem gilt es entgegenzutreten, und zwar zivilisiert, wann immer und solange es geht.

Hinweis der Redaktion: Vgl. auch Löwisch , Kündigungsschutzgesetz, Taschenkommentar des Betriebs-Beraters 7. Aufl., § 1 Rn. 134, 153. Bauer/Röder, Taschenbuch zur Kündigung, Bücher des Betriebs-Beraters, S. 84. – Zum Anspruch einer Arbeitnehmerin gegen den Arbeitgeber auf Schmerzensgeld wegen Ehrverletzung vgl. BAG, BB 1999, 1119.

 

Fußnoten

1)   ArbG Bielefeld, 9.12.1997 – 1 Ca 1591/97, EzA Nr. 172 zu § 626 n. F. BGB.

2)   BAG, 6.2.1997 – 2 AZR 38/96, ArbuR 1997, 210; LAG Bayern, 6.4.1962 – 4 Sa 896/61, WA 1963, 126.

3)   RG, 19.11.1912, GewArch XIII, 145.

4)   RAG, 14.4.1937 – RAG 284/36, RAGE 18, 194.

5)   BAG, 9.12.1982 – 2 AZR 620/80, BAGE 41, 150 = BB 1983, 2257; 21.12.1983 – 7 AZR 131/82 – n.v.

6)   S. u. die Fälle A bis D.

7)   S. u. Fall 1.

8)   Gewerbegericht Charlottenburg, 10.10.1916, Gewerbearchiv Bd 18, 99.

9)   S. u. Fall 4.

10)  S. u. Fall 2, Fall A.

11)  S. u. Fall B.

12)  Vgl. hierzu letzthin: BAG, 11.3.1999 – 2 AZR 507/98, BB 1999, 1166.

13)  BAG, 23.2.1979 – 1 AZR 172/78, BB 1979, 887: Aufkleber auf Schutzhelmen.

14)  Vgl. LAG Frankfurt, 17.2.1997 – 11 Sa 1776/96, NZA-RR 1998, 17: Flugblattverteilung durch Be- triebsratsmitglied.

15)  Preis/Reinfeld , ArbuR 1989, 361; Großbach/Born , ArbuR 1989, 374.

16)  BAG, 3.12.1954 – 1 AZR 150/54, BAGE 1, 185: KPD-Werbung in Lohntüten; BAG, 2.3.1982 – 1 AZR 694/79, BAGE 38, 85 = BB 1982, 619, 1730: Lehrer mit Anti-Atomkraft-Plakette im Dienst.

17)  Sächsisches LAG, 19.8.1997 – 7 Sa 870/96: Rechtsanwalt, der gelegentlich abgegessene Teller weiblicher Mitarbeiter abschleckt, einer Kollegin etwas ins Nackenhaar flüstert und Sekretärinnen in die Achselhöhlen greift; LAG Hamm, 13.2.1997 – 17 Sa 1544/96, LAGE Nr. 110 zu § 626 BGB: Ausbilder legt Auszubildender den Arm um die Schultern; BVerwG, 15.11.1996 – 1 DB 5/96, NJW 1997, 958: Brief an Kollegin, »an die dummgeile onanierende heuchlerische Fotzi-Frau«.

18)  BAG, 18.2.1999 – 8 AZR 735/97, BB 1999, 1119: »Königin der Tagediebe«; v. Hoyningen-Huene , BB 1991, 2135.

19)  Gewerbegericht Offenbach, 2.11.1900 GewArch I, 143.

20)  BAG, 23.2.1959 – 3 AZR 583/57, BAGE 7, 256 = BB 1959, 490.

21)  BAG, 8.7.1957 – 2 AZR 121/55, AP Nr. 1 zu § 124 a GewO.

22)  LAG Düsseldorf, 8.5.1963 – 1 Sa 170/63, DB 1963, 935.

23)  LAG Köln, 30.1.1998 – 4 Sa 930/97, NZA 1998, 1284.

24)  ArbG Kaiserslautern, 10.5.1995 – 4 Ca 848/94, ARST 1996, 7–8.

25)  BAG, 9.12.1982 – 2 AZR 620/80, BAGE 41, 150 = BB 1983, 2257.

26)  5.4.1984 – 2 AZR 513/82, DB 1985, 602.

27)  19.5.1992 – 1 BVR 126/85, BVerfGE 86, 122 = BB 1992, 1792; dazu auch Kühling, ArbuR 1994, 126.

28)  BVerfG, 15.1.1958 – 1 BvR 400/51, BVerfGE 7,198 (Lüth) ; vgl. Wendeling-Schröder, Autonomie im Arbeitsrecht, Frankfurt 1994, S. 156.

29)  BVerfG, 22.6.1982 – 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61,1.

30)  Herzog, in: Maunz/Dürig, GG (Stand Februar 1999), Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 55: »Jede Äußerung, die einem individuellen Mitteilungsbedürfnis entspricht, genießt den Schutz von Art. 5 Abs. 1 GG«; ähnlich Ramm, JZ 1991, 1., Badura, Staatsrecht, C. Rn. 62; enger die h. M., Grimm, NJW 1995, 1697; ausführlich zum Streitstand Wullkopf, Die Beschränkung der Meinungsfreiheit der Angestellten im öffentlichen Dienst, 1999, S. 27–32.

31)  BVerfG, 28.4.1976 – 1 BvR 71/73, BB 1976, 1026; zum fortdauernden Streit um die dogmatische Begründung: Wullkopf (Fn. 30 ), S. 88.

32)  Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer H. 4, 1928, 54, Hervorhebung von mir .

33)  BAG, 12.6.1986 – 6 ABR 67/84, DB 1987, 1898.

34)  St. Rspr., vgl. etwa BAG, 12. März 1987 – 2 AZR 176/86, NZA 1988, 137.

35)  BAG, 22.12.1956 – 3 AZR 91/56, BAGE 3, 193; 21.12.1983 – 7 AZR 131/82 – n. v.

36)  Vgl. zum Prognoseprinzip Vossen, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungs- schutz im Arbeitsverhältnis, 7. Aufl. 1999, Rz. 614, 617.

37)  BAG, 28.9.1972 – 2 AZR 469/71, DB 1972, 2356.

38)  Sehr kritisch: ArbG Hamburg, 11.9.1995 – 21 BV 6/95 – BB 1997, 206; ebenfalls ablehnend: Wullkopf (Fn. 30 ), S. 51 ff.

39)  Grimm, NJW 1995, 1697.

40)  BVerfG, 25.8.1994 – 1 BvR 1423/92, NJW 1994, 2943.

41)  LAG Frankfurt, 17.11.1996 – 3 Sa 1915, 95, NZA-RR 1997, 383.

42)  Ausführlich und kritisch hierzu Wullkopf (Fn. 30 ), S. 137 ff.

43)  BAG, 5.11.1992 – 2 AZR 287/92, ArbuR 1993, 124.

44)  ArbG Bremen, 29.6.1994 – 7 Ca 7160/94, BB 1994, 1568.

45)  BAG, 9.3.1995 – 2 AZR 644/94, NZA 1996, 875; Vorinstanz: LAG Hamm, 12.4.1994 – 6 Sa 1839/93, BB 1994, 1288 – mit ablehnender Anm. Stückemann; zu ähnlichen Fällen: BVerfG, 2.1.1995 – 1 BvR 320/94, NJW 1996, 45.

46)  BAG, 1.7.1999 – 2 AZR 676/98, BB 1999, 2302; Vorinstanz: LAG Berlin, 30.1.1998 – 16 Sa 128/97 n.v (16-jähriger Lehrling); LAG Berlin, 22.10.1997 – 13 Sa 110/97, MDR 1998, 786 (18-jähriger Lehrling); vgl. auch: LAG Köln, 11.8.1995 – 12 Sa 426/95, NZA RR 1996, 128 (Auschwitz-Lüge im usenet-news-System des Arbeitgebers).

47)    In der Literatur Korinth , ArbuR 1993, 105; ähnlich: Krummel/Küttner, NZA 1996, 67; wohl auch Blank , ArbuR 1994, 286, 291; LAG Berlin (16. Kammer) – Fn. 46 ; ArbG Siegburg, 4.11.1993 – 4 Ca 1766/93, DB 1994, 1146; Arbeitsgericht Hannover, 22.4.1993 – 11 Ca 633/92, BB 1993, 1218; Däubler, DB 1993, 1220 wirft dem Arbeitsgericht Hannover »finale Subsumtion« und »erstaunliche Milde« vor.

48)  30.1.1998 (Fn. 46 ).

49)  1 BvR 320/94, NJW 1996, 45.

50)  Fn. 46; ähnlich ArbG Wesel, 27.5.1993 – 5 Ca 3541/92, n. v.

51)  Es verwies zur weiteren Aufklärung zurück.

52)  ArbG Düsseldorf, 15. März 1995 – 6 Ca 8198/94, ArbuR 1995, 424.

53)  8.9.1978 – 6 Sa 927/78, DB 1979, 556.

54)    RAG 41/31, RAGE 10,27; ähnlich 29.6.1932 – RAG 120/32, RAGE 11,273.

55)  John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 7. Aufl., 1993 S. 246–251.

56)  Vgl. außer den schon erwähnten Autoren Buchner, ZfA 1982, 49; Bührig, Die Betriebsverfassung, 1957, 10; Hager, AcP 196 (1996), 168; v.Hoyningen-Huene/Hofmann, BB 1984, 1050; Kissel, NZA 1988, 145; Lepke, DB 1968, 1990, 2037; Mayer-Maly, ArbuR 1968, 1; Meisel, RdA 1976, 38; Mummenhoff, DB 1981, 2539; Olbersdorf, ArbuR 1958, 193; Otto, ArbuR1980, 289; ders., Anm. Arbeitsgericht Hamburg, 18.4.1978 – 14 Ca 157/78, EzA Nr. 3 zu Art 5 GG; ders. Anm. Iserlohn, 30.1.1980 – 1 Ca 901/79, EzA Nr. 4 zu Art. 5 GG; Preis/Stoffels, RdA 1996, 210; Preis/Reinfeld, ArbuR 1989, 361; Schaub, RdA 1979, 137; Söllner, in: FS Herschel, 190, 389.

57)  So aber Krümmel/Küttner, NZA 1996, 67

 

 

 

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