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Ein großer Humorist – wiederentdeckt. Alexander Moritz Frey und sein Roman »Solneman der Unsichtbare« (15.11.21) – Gastbeitrag von Ulrike Brune*

 

Kürzlich erschien in dem kleinen, aber feinen Coesfelder Elsinor-Verlag die Neuauflage eines fantastischen Romans des leider schon 1954 verstorbenen Schriftstellers Alexander Moritz Frey mit dem Titel »Solneman der Unsichtbare«. Der kleine Band ist mit einem meisterhaften und kundigen Vorwort von Sibylle Lewitscharoff versehen, aus dem ihr unbändiges Vergnügen bei der Lektüre dieser aus einer längst vergangen Epoche stammenden und trotzdem hochaktuellen Geschichte regelrecht hervorsprüht.

Wer aber war Alexander Moritz Frey? Und wer dieser Solneman? Worum geht es eigentlich? Und muss man das lesen? Fangen wir der Reihe nach an:

I. Juristerei, Satire und ein kollernder Puter an der Westfront

M. Frey, geboren 1881 in München als Sohn eines Malers und Opernsängers und einer strengen Mutter, studierte Jura, ohne ein Examen abzulegen (er gab kurzerhand leere Blätter ab und schrieb stattdessen Satiren für die Zeitschrift »Simplizissimus«). Von seinem Erstlingsroman »Solneman der Unsichtbare« erschien im August 1914 ein Teilabdruck in der »Neuen Züricher Zeitung«. Von 1915 bis 1918 lag er als Sanitätsunteroffizier zusammen mit dem im selben Regiment dienenden Meldegänger Adolf Hitler an der Westfront im Schützengraben. Frey notierte bei Hitler »erstaunliche« Eigenschaften:

»Eines Abends im Herbst 1915, kam der Meldegänger, ein bleicher, langer Mensch nach der ersten Granate hinuntergestürzt. Angst und Wut in den flackernden Augen. Ein voller Schnurbart, der später der neuen Gasmaske wegen gekappt werden musste, verdeckte noch den hässlichen, meist verkrampften Schlitz des Mundes. Sein gelbes Gesicht rötete sich, er hatte etwas von einem kollernden Puter.«

Angewidert von Hitlers Auftreten, blieb Frey nach dem Krieg auf Distanz zum Nationalsozialismus. Das Angebot von Hitler und seinem Verleger Amann zur Mitarbeit im »Völkischen Beobachter« lehnte er ab:

»Ich sagte: nein – und machte mir Feinde, denn sie sahen nicht ein, weshalb ein alter Kämpfer und einwandfreier Arier nicht mitmachen wollte.«

Nachdem im März 1933 ein Haftbefehl gegen ihn erlassen und seine Wohnung von der SA verwüstet worden war, floh er zunächst nach Österreich und 1938 weiter in die Schweiz – wo er anfangs nur befristet geduldet wurde und eingeschränkt schreiben durfte. Frey starb Anfang 1957 völlig verarmt an den Folgen eines Gehirnschlags in Basel.

II. Hciebel Solneman

Solneman, der den fast unaussprechlichen Vornamen »Hciebel« trägt, ist ein skurriler Krösus, ein mittelgroßer Herr mit weißem Rauschebart und einer »rot überhauchten« Brille. Auf seinem Kopf sitzt ein Zylinder, und darunter trägt er eine Perücke mit langen gelben Locken. Gewandet ist er in einen Blaufuchs, »dessen Haare er nach außen trug«. Dieser Hciebel Solneman erscheint eines Tages in einer Kleinstadt, um deren Oberbürgermeister Bock das Angebot zu unterbreiten, gegen eine atemberaubende Summe Geldes den kompletten Stadtpark zu kaufen.

»Klar meine Absicht: wünsche, den städtischen Park zu kaufen. Dies der erste … Punkt. Der zweite: biete der Stadt für das Objekt dreiundsiebzig Millionen. … bar bezahlt. Verlange die Abtretung des Parkes zusamt den Bäumen, dem Rasen, den Wasserläufen und Brücken … und dem Entenbestand. Die Schwäne stelle der Stadtverwaltung zur Verfügung. Schwäne liebe ich nicht. …

Eines wenn ich bitten darf, ist strikte zu beachten: … verlange noch eine Leistung, von der gesamten Bevölkerung geleistet. Die ist: Ruhe, Abgeschiedenheit. Bin für die Stadt nicht vorhanden, für niemanden, und niemand ist für mich vorhanden. … Niemandes Bruder bin ich, bin niemandes Neugier, niemandes Fürsorge, niemandes Betulichkeit. Dies vor allem.«

Solneman bezahlt die Kaufsumme und

» …, der Park, beliebt bei Jung und Alt, beim Manne so wie beim Weibe, ob der Büsche für Liebende ein gerne bewandertes Ziel, ward zum Eigentum Solnemans, über den niemand mehr wusste als das wenige, was er selbst über sich gesagt hatte, fürderhin also quasi nichts.«

III. Worum es eigentlich geht?

Kurz gesagt: Um niederste Instinkte. Schon vor Solnemans Umzug in seinen Stadtpark kommen die bis dahin sehr verschlafenen Behörden auf Touren und tritt all das zutage, was beileibe nicht nur in verfilzten Bürokratien und unter den Bürgern von Kleinstädten herumgeistert: Habgier, Misswirtschaft, Willkür, Hass, Neid und schier grenzenlose Neugier.

Es beginnt damit, dass Solneman eine dreißig (!) Meter hohe Ringmauer mit einer elf (!) Meter breiten Plattform obendrauf um den Stadtpark herum bauen lässt.

»Keine Tür, kein Tor war zu sehen, die Außenwand, vom Bau her kahl und häßlich, wurde mit Pflanzen berankt und mit seltsam anmutenden Figuren und phantastischen Bildern bemalt.«

Bis dahin sieht man ihn bisweilen in Gesellschaft einer hünenhaften, bärenstarken Dame, »… blauschwarz und sehr dick« –  womöglich eine Dienerin? –, die bei dem insoweit noch unbefangenen Frey fortan schlicht »Negerin« heißt. Getrieben von der sowohl mit Angst als auch mit Abscheu besetzten Faszination, die von dieser Dame ausgeht, zerbrechen sich die Bürger der Stadt den Kopf darüber, was die beiden hinter der Mauer wohl so treiben.

»Diese Mauer: schon glaubten die einen, sie beherberge Verbrechen, andere vermuteten hinter ihr ungeheure Lustbarkeiten verborgen. Wußte man, was durch die zwanzig Möbelwagen eingeschmuggelt worden war? Vielleicht ein ganzer Harem – Kinder vielleicht. Manchmal war es, als flöge über das haushohe Gestein vielstimmiges Lachen, Weibergekreisch. Waren das immer nur die Möwen, die so schrien? … Hätte man nur hinübergelangen können – böse Dinge wären offenbar geworden!«

Nicht mehr beherrschbar wird die Neugier, als Solneman und seine Dienerin auf der Plattform der Mauer zunächst mit Autos und später mit einer Sportyacht Rennen veranstalten. Es wächst, wie es Sibylle Lewitscharoff in ihrem Vorwort treffend formuliert, »der Hass wie ein böser Bruder an der Seite seiner Zwillingsschwestern Neugier und Habgier«. Sogar seine Majestät der Kaiser »wollten Solneman beaugenscheinigen«, woraufhin Oberbürgermeister Bock feststellt:

»Also, auch Majestät leiden an dieser fressenden Neugier, welche schon die ganze Stadt in ein wütendes Fragezeichen verwandelt hat.«

Die schier unmöglichsten Versuche werden unternommen, einen Blick in das geheimnisvolle Reich Solnemans zu werfen – sie alle scheitern kläglichst.

Der Stadtrechtsrat mit dem sprechenden Namen Schlicksupp trachtet derweil unentwegt danach, Solneman für angeblich begangene Missetaten zu bestrafen. Das gelingt ihm auch immer wieder: Als man z.B. nach Fräulein Golfström sucht, der »tauchenden Venus«, die durch einen unter der Mauer verlaufenden Bach zu Solneman gelangen wollte und danach nicht mehr gesehen ward, findet man die Leiche eines Mopses.

»Möpse waren seit Jahren nicht versteuert worden, niemand von den Einwohnern hatte einen Mops besessen. Der Hund konnte demnach nur Solneman gehört haben. Von ihm war er … eingeschmuggelt worden und nicht versteuert, war getötet (Tierquälerei!) und in den städtischen Bach geworfen worden, der dadurch eine Verunreinigung erfahren hatte. Daß Leichen nicht stromaufwärts treiben, stand in diesem einen Fall, der aus einer Fülle von Rätseln heraus geboren schien, zum mindesten nicht fest.«

Solneman lässt sich davon indes nicht beeindrucken – er bezahlt die Strafen einfach und bringt damit die ganze Stadtcorona zur Weißglut, Schlicksupp, den Polizeipräsidenten, den ersten und den zweiten Staatsanwalt und nicht zuletzt den Oberbürgermeister Bock und seine beiden Stellvertreter. Als Solneman schließlich doch die Stadt verlässt, verabschiedet er sich mit einem versiegelten Brief.

»Schlicksupp ließ den Bogen sinken. … ›Mist‹, entschied er. ›Bockmist!‹ Er verbesserte sich mit einem Blick auf den Oberbürgermeister und sagte: ›Ganz unverschämter Mist.‹

Bock, um nicht schweigen zu müssen, erklärte traumhaft: ›Die Rechtslage, meine Herren, ist sehr verwickelt, jawohl – ‹ …

Der dritte Bürgermeister, der bisher kein Wort geredet hatte, zerrte die Lippen breit, und man wußte nicht, verbiß er sich ein Lachen oder einen seelischen Schmerz. Er meinte: ›Hciebel Solneman – namenlos lebe ich: – wir sind alle nur dieses Narren ärgsten Narren gewesen.‹«

IV. Ob man das lesen muss?

Ja, unbedingt. Der Roman ist natürlich gedacht als Persiflage auf das Kaiserreich und seine Bürger. Obwohl schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts geschrieben, ist er jedoch keineswegs aus der Zeit gefallen, sondern hochaktuell. Frey nimmt mit viel Witz, Ironie und Spottlust die spießige Bürgerlichkeit aufs Korn: Den aufgeblasenen Staatsapparat, die Verführbarkeit durch Geld, die mangelnde Bereitschaft, Fremde zu akzeptieren und zu dulden, den Irrglauben, »Recht und Ordnung« durch willkürliche Bestrafung herstellen zu können. Frey beobachtet und beschreibt das Auseinanderfallen der kleinstädtischen Gemeinschaft mit feinem Gespür und geradezu überbordender Fantasie und in einer so wunderbaren Sprache, dass es eine wahre Lust ist, seinen »Solneman« zu lesen. Es wird Ihnen an keiner einzigen Stelle langweilig werden, versprochen!

*Dr. jur. Ulrike Brune ist Richterin am Bundesarbeitsgericht in Erfurt und lebt in Weimar.

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