2810

Neue Beiträge

Eine aktuelle Buchempfehlung zum Wahlkampf in Großbritannien (01.12.19)

Es ist selten, dass ein Buch so genau in den sich ständig verändernden Rahmen der aktuellen Ereignisse passt wie dieses. Und der Titel ist so treffend gewählt, dass er ohne Probleme als Bildunterschrift für einige der Schnappschüsse dienen könnte, die derzeit vom britischen Wahlkampf im Netz unterwegs sind. Er lautet: »Die Blender. Bluffer und Schaumschläger in der britischen Politik.«

Es geht in diesem pointenreichen und sachkundig geschriebenen (und kongenial übersetzten) Essay genau um jene Spielart listenreicher Politikdarsteller zwischen Narr und Mephisto, von denen Boris Johnson ohne Zweifel das blondeste Exemplar ist. Die beiden Autoren, James Ball und Andrew Greenway, sind auf der Insel als angesehene und kundige Intellektuelle bekannt. Sie stellen die Frage, wie es kommen konnte, dass Großbritannien sich seit einigen Jahren mit beeindruckender Theatralik systematisch selbst in immer größere und absurdere Schwierigkeiten manövriert. Die Ursache machen sie im Bildungswesen aus, genauer gesagt in den Elite-Universitäten. Wir kennen, wenn wir Freunde langweiliger englischer Kriminalserien sind, den ehrenwerten Inspector Lewis, der sich vor dem Hintergrund der skurrilen Verhältnisse an der Universität Oxford der stilvollen Aufklärung von Verbrechen hingibt, von denen selbst der gutwilligste Zuschauer auch nach dem Film nicht ernsthaft verstehen kann, dass und warum sie begangen wurden. Es gibt dort – an der Universität Oxford – und in den anderen Unis offenbar einen Studiengang mit der Bezeichnung PPE – politics, philosophy und economy –, den viele Akteure der britischen Elite in Zeitungen, Fernsehen und Politik absolviert haben, wahrscheinlich auch Boris Johnson, David Cameron, Theresa May, um nur wenige zu nennen. Dieser Studiengang zeichnet sich, wenn ich die Schilderung von Ball und Greenway hier etwas verkürzt wiedergeben darf, dadurch aus, dass er die Vermittlung vertiefter Kenntnisse von wasauchimmer systematisch unterbindet und stattdessen neben stupender Trinkfestigkeit die Fähigkeit trainiert, mit Witz und Schärfe über Themen zu streiten, von denen weder die Studenten noch die Professoren den geringsten Schimmer haben. Das Ergebnis sind Persönlichkeiten, die einander in allseitiger Inkompetenz, tiefer Verlogenheit und immer wieder verblüffend guter Laune verbunden sind, sich über Jahrzehnte in Medien und Regierung alle möglichen Jobs zuschanzen und das Land nur deshalb noch nicht ganz ruiniert haben, weil es eben auch in Großbritannien ein im Großen und Ganzen fleißiges, ehrenwertes Volk gibt.

Ich habe jetzt möglicherweise ein wenig überzeichnet und es mag auch sein, dass die Autoren Ball und Greenway die Dinge hier und da etwas zu negativ pointieren. Ich kann es nicht nachprüfen. Und doch wird man beim Abgleich dessen was man liest mit dem, was man in den Medien an Bildern und Texten aus Großbritaninien zu sehen bekommt, den Verdacht nicht los, dass viel Wahres an dem ist, was die Autoren sehr detailreich schildern. Man darf ihnen wohl auch deshalb vertrauen, weil sie beide den genannten Bildungsweg ebenfalls beschritten haben und folglich aus eigenem Erleben schreiben und sogar eine Reihe von Vorschlägen unterbreiten, wie man dem Unstand abhelfen könnte. Was natürlich dafür spricht, dass PPE, wie alle Übel in der Welt, auch etwas Gutes hat, indem es schreibgewandte, humorvolle und das Wohl ihres Landes im Herzen tragende Persönlichkeiten formen kann.

James Ball/Paul Greenway: Die Blender: Bluffer und Schaumschläger in der britischen Politik. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Pago. Elsinor-Verlag, Coesfeld 2019, 111 Seiten, 16,00 Euro

Auf Englisch: Bluffocracy. Biteback Publishing. ISBN: 1785904116

Textsuche

Neben der freien Textsuche und dem Schlagwortregister besteht an dieser Stelle die Möglichkeit, die Suche nach bestimmten Texten weiter einzugrenzen. Sie können die Suchfelder »Schlagwort« und »Jahr« einzeln oder in Kombination mit den anderen beiden Feldern verwenden. Um die Suche auszulösen, drücken Sie bitte die Enter-Taste; zum Auffinden der jeweiligen Textstelle benutzen Sie bitte die Suchfunktion Ihres Browsers.