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Einige Bemerkungen über den Irrtum (15.02.24)

Monumento »Atis Tirna« von Manuel Bethencourt Santana
im Parque Doramas, Las Palmas de Gran Canaria

Es ist nicht schwer, sich zu irren. Aber manchmal unmöglich, es zu bemerken. Und wenn man‘s merkt, dann natürlich immer erst hinterher. Vorher wäre ja wirklich Quatsch. Und gleichzeitig? Manchmal weiß man, dass etwas falsch ist und tut es trotzdem. Man will mutig sein und den berühmten »kairós« nicht verpassen: Das ist der Augenbllick, von dem man nur weiß, dass es vorher zu früh und hinterher zu spät ist. Man erwischt ihn, oder die Sache geht schief. Dann hat man sich eben geirrt.

Aber so ein Irrtum hat ja angeblich auch sein Gutes. Vor kurzem wollten wir in einer fremden Stadt in ein Museum, unbedingt. Aber wir verliefen uns, wir gingen südlich statt westlich. Und landeten in einem zauberhaften Park, wo viele Vögel ein Konzert gaben in der Krone eines Baums, dessen Wurzeln in der Luft hingen. Und ein paar Meter weiter stand ein Kunstwerk, aus Steinen gehauen, wie ich es noch nie gesehen hatte: Ein Mann mitten im Sturzflug, soeben, vielleicht irrtümlich, von einem Felsen gefallen?

Man kann dem Irrtum leicht anheimfallen, und es ist oft schwer, ihn sich einzugestehen. Da muss man gar nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Wird man selbst beim Irrtum ertappt, fängt man an, ihn als das einzig Wahre zu verteidigen. Man will sein Gesicht nicht verlieren und ruiniert dabei seinen Verstand.

Trotzdem kann es für Entlastung sorgen, wenn sich mal jemand anderes irrt. Und wenn‘s nur ein Tier ist, zum Beispiel eine Taube, wie in einem Gedicht des Poeten Rafael Alberti. Er wurde 1902 in der Nähe von Cádiz geboren, ging in der Franco-Zeit nach Argentinien und kehrte 1977 an seinen Geburtsort zurück, wo er 1999 starb. Alberti war Dadaist, Antifaschist und Kommunist. Er schrieb eine Ode über einen Fußballtorwart und sagte über sich: »Ich bin ein Verrückter, aber nachdem ich gesehen hatte, was auf der Welt los ist, wurde ich zwei Verrückte.«

 

Und hier folgt nun das Gedicht:

Se equivocó la paloma.

Se equivocó la paloma
se equivocaba.
Por ir al norte, fue al sur
creyó que el trigo era agua,
se equivocaba.
Creyó que el mar era el cielo,
que la noche la mañana,
se equivocaba,
se equivocaba.
Que las estrellas, rocío,
que la calor, la nevada,
se equivocaba,
se equivocaba.
Que tu falda era tu blusa
que tu corazón, su casa,
se equivocaba,
se equivocaba.
Ella se durmió en la orilla,
tú en la cumbre de una rama.

Die Taube hat sich geirrt.

Die Taube hat sich geirrt,
Sie irrte sich.
Sie dachte, sie fliegt nach Norden,
Aber es war der Süden.
Den Weizen hielt sie für Wasser,
Sie irrte sich.
Sie glaubte, das Meer wäre der Himmel
Und die Nacht der frühe Morgen.
Sie irrte sich, sie irrte sich.
Die Sterne der Nebel,
Die Hitze der Schneesturm.
Sie irrte sich, sie irrte sich,
Dein Rock Deine Bluse
Und Dein Herz ihr Haus.
Sie irrte sich, sie irrte sich.
Sie schlief ein am Ufer
Und Du auf der Spitze eines Zweigs.

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