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Endlich den Frieden beschwören – von Marko Martin (15.11.24)

Eine neue Übersetzung der »Odyssee« erfreut nicht nur sprachlich, sondern mit feinem Vorwort und Kurzfassung der 24 Gesänge

Die Adaptionen von  Homers »Odyssee« sind zahllos und spannen sich über die Jahrhunderte: von Monteverdis und Händels Opern über Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« bis zu James Joyce’ genialischem »Ulysses«-Roman und den gelungenen feministischen Interpretationen in Margaret Atwoods »Penelopiade« oder in Ulrike Draesners Poem »Das Frauenschiff oder Penelopes Sehnsucht nach dem Norden«. Von atlantisgleich »abgesunkenem Kulturgut« kann ob dieser fortgesetzten Faszination also keine Rede sein – auch wenn sich die Frage stellt, ob sich heute nicht lediglich auf Bruchstücke zurückgreifen lässt, erinnerte Geschichten aus der Jugendlektüre. Wahrscheinlich war diese nicht etwa die einst in jedem Bildungsbürgerhaushalt obligatorische, in edle Hexameter gefasste Übertragung von Johann Heinrich Voß von 1781, sondern die populäre Prosafassung von Gustav Schwab, die freilich auch bereits aus dem 19. Jahrhundert stammt.

Doch nun: die »Odyssee« endlich wieder in der ihr adäquaten, rhythmisch eilenden Versform, wenn auch ohne Hexameter und, vor allem, ohne jenen Fußnoten- und Erklärapparat, der das Lesen selbst zu einer lexikalischen Odyssee gemacht hätte. Vielleicht kein Zufall, dass ihr Übersetzer kein Altphilologe ist, sondern ein pensionierter Richter am Bundesgerichtshof. Dabei ist Christoph Schmitz-Scholemann alles andere als ein literarisch dilettierender Jurist, sondern auch Essay-Preisträger der renommierten Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

In einem gewitzten Vorwort räumt er überdies mit der modischen Mär auf, das Epos von Odysseus’ knapp zehn Jahre währender Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg sei eine reine Männerstory. Ohne die Göttin Athene oder die Prinzessin Nausikaa wäre der Held nämlich nie und nimmer zurück zu Penelope und nach Ithaka gekommen. Wobei die ebenso mythische Gestalt des Chronisten Homer seinen Odysseus dabei keineswegs stets als puren Helden zeichnet, sondern auch als grausamen und oft unvernünftigen Macho. Der konzisen Vorrede folgt eine Kurzfassung der 24 Gesänge, welche en passant deutlich macht, wie Kontextualisierung ohne retrospektives Moralisieren möglich ist: »Die Schilderung der Morde sind von einer Art, dass man sie im Fernsehen heute vermutlich nur mit einem vorangestellten Disclaimer zeigen könnte.«

Es braucht in dieser rundum gelungenen, in unprätentiösem und dennoch elegantem, vor allem aber lesbarem Deutsch geschriebenen Übersetzung deshalb weder das Altertümelnde noch das forciert Aktualistische. Gerade weil das Tohuwabohu der Götter und Göttinnen uns heute zwar atavistisch fremd erscheinen mag, seinen ästhetischen Reiz jedoch bewahrt hat. Und wer will, kann Athenes klugen Abschlussbefehl, der nach Odysseus’ Gemetzel an Penelopes Freiern den Bürgerkrieg auf Ithaka zu vermeiden half, durchaus deuten als frühantiken Fingerzeig auf autoritativ durchgesetzte Gewaltlosigkeit als Basis jeglichen Rechts: »Odysseus war im Grunde des Herzens froh. / Und Pallas Athene, die an Gestalt und Stimme / Noch immer dem alten Mentor glich, / Ließ die streitlustigen Männer / Endlich den Frieden beschwören.«

* Zur Person: Marko Martin ist Schriftsteller und Publizist, Mitglied im PEN Berlin, zahlreiche Bücher, zuletzt »Und es geschieht jetzt: Jüdisches Leben nach dem 7. Oktober«, September 2024. Zog sich kürzlich den allerhöchsten Unmut des Bundespräsidenten zu, den er öffentlich und in dessen Anwesenheit kritisiert hatte.

Zum Text: Rezension zur Ersten Auflage meiner Ende 2023 erschienenen Neuübersetzung der Odyssee  – abgedruckt Heft 162 (Februar/März 2024) der Zeitschrift mare – hier wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Verlags, für die ich mich sehr bedanke.

Homer: »Die Odyssee«, neu ins Deutsche übertragen von Christoph Schmitz-Scholemann, Elsinor, Coesfeld, 2023, 575 Seiten, 29 Euro

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