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Geschmackserdbeeren – Einleitung zu einer Geburtstagsrede* (01.07.20)

 

Lieber Herr Präsident NN, liebe Freundinnen und Freunde der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,

es ist für mich eine große Ehre, zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ihre ehrenwerte Vereinigung zur Förderung des Arbeitsrechts feiert heute ihr 20jähriges Jubiläum. Also erstmal Danke für die Einladung und herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Wenn ich es richtig sehe, betreibt die Vereinigung zugleich Weiterbildung und lagerübergreifenden Gedankenaustausch. Das ist verdienstvoll! Wie sagte Jutta Limbach, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts – übrigens auch an die Adresse ihres eigenen Gerichts? »Das Leben ist ein Lernprojekt bis zum letzten Atemzug.« Eine weise Frau. Ganz offensichtlich ist so ein Diskussionsforum, in dem alle Stämme der arbeitsrechtlichen Groß-Familie – vom Arbeitgeberverband über Anwälte, Rechtswissenschaftler bis zu den Gewerkschaften – zusammenkommen, eine wunderbare Einrichtung und bezeugt die segenspendende  Kraft der Lernbereitschaft und des Kooperationsprinzips. Dieses Prinzip ist nach meinen Erfahrungen in keinem Rechtsgebiet so wirksam wie im Arbeitsrecht.

Das hat auch Folgen für solche Geburtstagsfeiern wie die heutige. Man kennt einander und kann vieles aussprechen, was man vor Gericht, in Schriftsätzen, Festschriftbeiträgen und Monografien und anderen Erzeugnissen unserer juristischen Camouflage-Literatur nur verblümt andeutet. Die Atmosphäre erinnert mich immer ein wenig an den berühmten Judge Roy Bean aus den alten Lucky-Luke Heften. Er war Richter – sich selbst nannte er »The Law West Of The Pecos« und sein Motto lautete »Hang ’em first, try ’em later« – »Erst aufhängen, verhandelt wird später«. Neben dem Richteramt versah er aber zugleich die verantwortungsvolle Aufgabe eines Kneipenwirts. Die Verhandlungen fanden folgerichtig im Saloon statt. Über der Theke prangte ein Schild: »Gerechtigkeit und kühles Bier!« Wenn das kein treffendes Motto ist für die »familia laboral«, wie sie in den spanischsprachigen Ländern heißt! Arbeitsrechtler, wer wollte das bestreiten, können großartige »Feierbiester« sein. Die üblichen Unterhaltungsbeiträge wie Musik und Reden werden zwar meist mit einer gewissen Höflichkeit ertragen, aber als Stimmungsaufheller an sich nicht gebraucht.

Umso liebenswürdiger, dass Sie mich hier sprechen lassen. Und zu allem Überfluss wurde mir von Herrn Präsidenten noch die Gunst gewährt, dass ich mir das Vortragsthema frei aussuchen konnte. Warum er so großzügig war, weiß ich nicht, vielleicht dachte er, bei meinem fortgeschrittenen Alter könnte ich mir das Thema sowieso nicht merken. Das darf aber auf sich beruhen, denn jedenfalls ist Freiheit ja schon an sich etwas Schönes. Obwohl ich zugeben muss, dass die Freiheit auch eine Last sein kann. Ich habe jedenfalls lange suchen müssen, bis ich mein Thema fand.

Begonnen habe ich mit einer Internetrecherche. Ich suchte nach Vorbildern für Geburtstagsreden. Tatsächlich bin ich fündig geworden, und zwar bei der Mutter aller juristischen Datenbanken, bei juris. Ich gab die Stichworte »Tischrede« und »Geburtstag« ein. Es gab 8 Treffer. Und ich stellte fest, dass wir Juristen auch den im Abendland mindestens seit Sokrates bekannten und in Deutschland durch Martin Luther zu Ruhm gekommenen unschuldigen Brauch der Tischrede mit gewissen rechtlichen Regeln liebevoll umhegt haben. Wenn auch bisher hauptsächlich für die Bundeskanzlerin.

Sie sah sich vor einigen Jahren einer auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützten Klage des Berufs-Verbrauchers Thilo Bode ausgesetzt. Er verlangte u.a. Herausgabe einer Geburtstags-Tischrede. Angela Merkel hatte den, wie es im Urteil des Verwaltungsgerichts hieß, »Vorstandsvorsitzenden der D-Bank, Herrn Dr. J.A.« (Josef Ackermann) im April 2008 zu dessen 60. Geburtstag eingeladen; das ist ja an sich eine schöne Geste, wenn auch einige boshafte und neidische Menschen gefragt haben, wieviel Geld man verdienen muss, um seinen Geburtstag auf Staatskosten feiern zu dürfen. Das Bundeskanzleramt jedenfalls wollte die schriftliche Geburtstagsrede der Kanzlerin nur in überwiegend geschwärzter Form herausgeben. U.a. mit der für eine Geburtstagsrede auf eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens interessanten Begründung, der Text der Geburtstagsrede enthalte personenbezogene Daten des Herrn Dr. A., nämlich u.a. sein Geburtsdatum! Dieser Einwand leuchtete dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg begreiflicherweise nicht ein.

Und nun kann man die ungeschwärzte Rede im Internet lesen, ebenso wie die Speisenfolge – Stremellachs, Kalbsrücken und sogenannte »Geschmackserdbeeren«, es muss also auch geschmacklose Erdbeeren im Bundeskanzleramt geben, – sowie die Tischordnung, aus der man entnehmen kann, dass es ziemlich eng zuging, dass der Springer-Verlag dreimal vertreten war, die FAZ einmal und Süddeutsche und Spiegel kein Mal und schließlich, dass als offizieller Vertreter des intellektuellen Lebens in Deutschland kein Geringerer als der allseits bekannte Frank Elstner – Beruf: Unterhalter – am äußeren linken Rand saß – von der Bundeskanzlerin aus gesehen. Was die Rede der Bundeskanzlerin betrifft, so scheint es mir angemessen, ein wohltätiges Schweigen darüber walten zu lassen, nur soviel sei verraten,  die Ansprache erreicht ihren rhetorischen Höhepunkt mit dem an Dr. Ackermann gerichteten denkwürdigen Satz: »Für die Zukunft wünsche ich Ihnen Tatkraft und Gesundheit sowie alles erdenklich Gute«. Wenn man nicht wüsste, welche Folgen solche Vertrauensbekundungen der Bundeskanzlerin früher so oft hatten, würde man sich dabei nichts denken. Jedenfalls bei Ackermann haben sich die guten Wünsche zum Teil erfüllt: Immerhin wurde er im Herbst 2019 durch den Bundesgerichtshof rechtskräftig vom Vorwurf des Prozessbetrugs freigesprochen. Der Josef ist ein ehrenwerter Mann!

Und nun zum Thema des Abends …

* gehalten im Herbst 2019 aus Anlass des 20jährigen Bestehens einer Vereinigung zur Pflege des Gedankenaustauschs zwischen Arbeitsrechtlerinnen und Arbeistrechtlern (leicht geändert)

 

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