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Ich bin zum Beispiel immer noch Jurist … (15.07.23)

Dass sich poetisches und juristisches Talent erstaunlich oft in einer Person vereinigt finden, ist keine neue Erkenntnis. Wir denken natürlich an die unzähligen deutschen Dichterjuristen von Andreas Gryphius über Goethe, Heinrich Heine und den Richter Theodor Storm, der sich bei Sitzungen mit dem Schreiben kleiner Gedichte die Langeweile vertrieb, bis zu Herbert Rosendorfer, Juli Zeh und Bernhard Schlink. Die Liste ließe sich beliebig verlängern und sie ist absolut international: Montaigne, Molière, Jules Verne, Carlos Fuentes, Louis Begley, Nikos Kazantzakis (»Alexis Sorbas«) u.v.a.m. gehören dem illustren Kreis juristisch ausgebildeter Dichter an. Ist das Zufall? Gibt es Gründe?

Eine der möglichen Erklärungen lautet, etwas überspitzt formuliert, so: Schriftstellerei vertrage sich deshalb so gut mit Juristerei, weil letztere, nämlich die Rechtskunde, eine strukturell unterfordernde Beschäftigung für bewegliche Geister sei. Wer nichts weiter kann als Jura, pflegte mein Ausbilder am Landgericht Aachen schon vor vielen Jahren zu sagen, ist eigentlich intellektuell nicht ernstzunehmen, wenn nicht sogar etwas heruntergekommen. So sah es wohl auch der Dichter und Rechtsanwalt Hans Adler, der von 1880 bis 1957 lebte. Seine juristische Profession scheint ihm manchmal regelrecht peinlich gewesen zu sein. In seinem kleinen Gedicht »Schicksal« trifft er in einem düsteren Varieté-Theater eine etwas abgeblätterte Unterhaltungsdame und versucht sie zu trösten:

Schicksal

Die Wangen rosenrot gepudert,
die Augen kohlenstrichumrändert –
Herrgott, wie hast du dich verändert!
In den paar Jahren so verludert.
Du, meiner Jugendträume Ideal,
du blonde Göttin meiner Lieder,
in diesem schlecht gelüfteten Lokal
find ich dich wieder.

Du brauchst mir gar nichts zu erzählen
von Wünschen und verfehlten Zielen.
Ich weiß . . . laß die Zigeuner spielen!
Wer wird sich mit Bereuen quälen!
Wem es bestimmt, der endet auf dem Mist
mit seinem edelsten Bestreben . . .
Ich bin zum Beispiel immer noch Jurist.
So ist das Leben.

Der überaus bunte Fragenkreis um Dichtung und Justiz steht seit über 20 Jahren im Mittelpunkt der bei Eingeweihten überaus beliebten und stets unterhaltsamen »Rendsburger Tagungen«. In diesem Jahre findet das Treffen vom 27.–29. Oktober statt. Es befasst sich vor allem mit Kohärenzen und Interferenzen zwischen Theater und Recht. Wer Lust hat dabei zu sein und mitzureden, kann sich noch anmelden. Das Tagungsprogramm ist hier zu lesen.

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