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Alles wird anders! – Die Metamorphosen des Ovid
Folge 2
Autodafé und Vorrede (15.02.21)

 

I. Beinahe verbrannt

Die »Metamorphosen« gehören seit der Renaissance zum Kanon der europäischen Literatur. Bis ins 20. Jahrhundert nutzten die gebildeten Stände dieses Buch als Fundgrube für Geschichten aus der griechischen und römischen Götter- und Sagenwelt – und quälten Lateinschüler mit der Aufgabe, den oft hochkomplexen Satzgebilden Ovids einen annehmbaren Sinn abzugewinnen. Es handelt sich um das dickste Werk, das Ovid schrieb. In 15 sogenannten »Büchern« von jeweils um die 900 Verszeilen erzählen die Metamorphosen eine poetisch ausgemalte Weltgeschichte. Es ist eine literarische Zauberkiste, ein Panoptikum ineinander verwobener, auseinander fließender, durcheinander gemischter Geschichten und Gestalten, wahre und erfundene, altüberlieferte und neugesponnene, erbauliche und grausame. Sie reichen vom Anfang der Welt, als alles nur Chaos war, bis in Ovids Tage, die man damals, zur Zeit des Kaisers Augustus, in Rom als einen Gipfelpunkt zivilisierter Ordnung empfand.

Als die Metamorphosen fertig geschrieben waren, scheint Ovid zunächst nicht recht zufrieden gewesen zu sein. Vielleicht hatte er das Gefühl, er habe die Fülle der Stoffe und Körper letztlich doch nicht zu einem genießbaren Ganzen zusammenfügen können. Sicher ist: Ovid wollte die Metamorphosen verbrennen, als sie fertig waren. Von solchen Autodafé-Gedanken hört man öfter: Nicht wenige Künstler pflegen ihnen gelegentlich in scheinbar dekorativer, in Wahrheit aber oft existenzieller Verzweiflung über die empfundene Unvollkommenheit anheimzufallen, sogar der psychisch recht stabile Goethe war davon nicht frei. Ovid scheint aber kein sehr begabter Brandleger gewesen zu sein. Jedenfalls haben die Metamorphosen die Hinrichtung durch ihren Autor  überlebt. Warum? Vielleicht war eine Verbrennung im Freien geplant, misslang aber, weil es plötzlich zu regnen begann. Oder die Verbrennung gelang, es gab aber eine Abschrift des Werks. Wir werden gleich sehen, wie es war.

II. Traurig in Tomi

Dass wir von der Verbrennung überhaupt wissen, verdanken wir Ovid selbst. Er hieß mit vollem Namen Publius Ovidius Naso (»Großnase« – von latein. nasus = deutsch: Nase) und war im Jahre 43 vor Christus geboren worden, und zwar in dem Abruzzen-Städtchen Sulmo. Gestorben ist er 17 nach Christus in Tomi (dem heutigen Konstanza) am Schwarzen Meer. Dort lebte er von 8 nach Christus bis zu seinem Tode, allerdings nicht freiwillig, sondern weil er vom Kaiser Augustus dorthin verbannt worden war. Möglicherweise hatte Ovid mit einem Gedicht den Kaiser verärgert. Man weiß es nicht genau, weil der Kaiser seine Übergriffigkeiten nicht zu begründen pflegte. Wenn die Verbannung darauf zielte, Ovid unglücklich zu machen, so erreichte sie ihr Ziel. Viele der im Exil entstandenen Dichtungen sind von schmerzender Depressivität durchzogen. Wenn die Absicht aber war, Ovid mundtot zu machen, so war sie erfolglos: Er schrieb auch am Schwarzen Meer weiter. Er könne eben nichts anderes als schreiben, sagte er.

III. Lorbeer im Haar – Brief nach Rom – Tristia, I,7 – An einen Freund

Die Metamorphosen waren noch in Rom entstanden. Aus einem der Trauerbriefe (Tristien I,7), die Ovid in der Verbannung schrieb, erfahren wir von dem Verbrennungsversuch und warum er erfolgreich gescheitert ist. Ich stelle hier eine von mir bearbeitete deutsche Übersetzung dieses Trauerbriefes ein, die auf das Versmaß des Originals verzichtet. Sie stammt von dem Gymnasiallehrer Nikolaus Gottfried Eichhoff aus Weilburg (Hessen), der von 1766 bis 1844 lebte.

»Wenn du ein Bild von mir vor Augen hast, das mich so zeigt, wie ich früher war, dann musst du dir das Efeu aus meinem Haar wegdenken. Denn solch ein Zeichen des Glücks gehört sich nur für glückliche Dichter. Für meine Schläfe schickt der Lorbeer-Kranz sich nicht mehr. Ja, mein Bester, ich weiß, dass du mich immer bei dir hast, weil du mich als Gemme an deinem Finger in Rom hin und her trägst. Und gewiss hast du mein Bild in dunkles Gold gefasst und hältst das teure Angesicht des Exilierten, so gut du kannst, in Ehren. Vielleicht sagst du, so oft du es anblickst: Ach, wie fern ist mein Freund Naso von mir! Ja, wirklich, deine Treue ist mir lieb und teuer. Aber ein besseres Bild von mir als mein Portrait auf der Gemme sind meine Gedichte, besonders jene, die ich einst in Rom zurückließ. Diese, was immer du darüber gehört hast, rate ich dir zu lesen: Die Verse  handeln von den Wandlungen der Körper. Es ist das Werk, an dem ich gerade arbeitete, als ich bei Nacht und Nebel wegmusste, wie ein Flüchtling. Dieses lange Buch, wie noch vieles andere von meinen Gedichten, warf ich betrübt ins Feuer, mit eigener Hand, als ich Rom verließ. Es war, als würfe ich meinen eigenen Sohn, meine eigenen Kinder auf den alles verzehrenden Scheiterhaufen. Teils, weil ich die Musen hasste, denn sie waren es ja, die die Schuld an meiner Verbannung trugen, weil sie mir leichtsinnige und strafbare Verse in den Sinn gegeben hatten. Aber ich hasste mein Werk auch dafür, dass es noch roh und unvollendet war. Weil es aber dann doch nicht gänzlich verschwunden ist, sondern, obwohl ich mein Exemplar verbrannt habe, immer noch in Rom herumschwirrt, muss ich annehmen, dass es mehrere Abschriften gab und gibt. Und heute sage ich: Welch ein Glück! Sie sollen leben und hochleben! Jetzt mögen sie den heiteren Fleiß der Leserinnen und Leser erfreuen und sie an mich erinnern. Doch muss ich die Leser auch um Nachsicht bitten. Die werden sie mir gewiss gerne gewähren, wenn sie wissen: Den Metamorphosen fehlt die letzte Hand. Die Arbeit wurde mir durch die Verbannung unter den Händen fortgerissen. Und so mangelt den Gedichten die letzte Feile. Nicht um Lob bitte ich dich, Leser, sondern um Nachsicht. Reichlich genug gelobt hast du, Freund, wenn ich dir nicht missfalle. Nimm hier noch diese sechs Verse und setze sie, wenn du willst, vorn an die Spitze des Werks:

wer du auch bist, der die bücher ergreift, die verwaisten:
….. schaff ihnen etwas platz in unserm schönen rom.
wisse, ihr schicksal war hart, dem scheiterhaufen entkommen
….. sind sie mit knapper not. fern von hier trauert Ovid,
der die gedichte schrieb, er sagt dir: besser wären die
….. verse, hätte ich sie einmal nur korrigiert.«

Aus: des Publius Ovidius Naso Klagegesänge in 5 Büchern – übersetzt von Nikolaus Gottfried Eichhoff, des fürstlichen Gymnasii zu Weilburg Prorector. Frankfurt am Main, bei Johann Christian Hermann, 1803.

Fortsetzung folgt.

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