3170

Neue Beiträge

Ovid und Covid

Für Jakob Schmitz

Sonderbar, dass es mir nicht auffiel. Seit Monaten liegen auf meinem Schreibtisch mehrere Ausgaben von Ovids Metamorphosen. Vor einigen Tagen fragte mich einer meiner Söhne, was O-vid mit Co-vid zu tun habe. Nichts, antwortete ich einigermaßen verdutzt. Das eine ist ein römischer Dichter, der im Jahre 43 vor Christus zur Welt kam, vom Kaiser Augustus ans Schwarze Meer verbannt wurde, dort im Jahre 8 nach Christus traurig starb und von Covid überhaupt nichts wusste oder auch nur ahnte. Wirklich nicht? Dachte ich dann und begann in den Metamorphosen zu blättern. Und stieß schließlich im 7. Buch ab Vers 517 bis 660 auf die ausführliche Schilderung einer Seuche. Sie wird nicht spezifisch benannt. Sie heißt einfach »lues«, was das lateinische Wort für alle irgendwie schmierigen ansteckenden Krankheiten ist.

In Kürze ist die Geschichte folgende. Der sagenhafte König Aiakos von Ägina, einer Insel rund 25 Kilometer südlich von Athen im Saronischen Golf gelegen, erzählt einem gewissen Cephalus, wie sein kleines Reich einst von einer schrecklichen Epidemie heimgesucht wurde. Urheberin der Seuche war die Göttin Juno, Ehefrau des Göttervaters Juppiter. Letzterer hatte sich, wie es seine Art war, in eine Nymphe verliebt, die Ägina hieß. Um sie für sich zu gewinnen, gab sich Juppiter Mühe: Er verwandelte sich in einen Adler, möglicherweise auch in ein hübsches Feuer. Der Lohn war eine offenbar stürmische Liebesnacht. Die Nymphe Ägina gebar als Folge des Abenteuers den späteren König von Ägina: Aiakos. Darüber war nun die eifersüchtige Juno verstimmt und schickte zur Rache die »lues« auf die Insel. Die Seuche ergreift zunächst die Tiere, springt dann aus der Tierwelt auf die Menschen über und rafft sogar die Ärzte hin: »inque ipsos saeva medentes/ erumpit clades, obsuntque auctoribus artes« – »und dann streckte die Plage/auch die Heilenden hin, den Wissenden schadet ihr Wissen.« Schon bald geht das Holz aus, um die Leichen zu verbrennen. Als die Menschen merken, dass ihnen nicht mehr zu helfen sein wird, stürzen sie sich in maßlose Saufereien, um sich ihren Untergang zu versüßen. Schließlich aber hilft die Religion. Aiakos geht in den Tempel und betet zu seinem göttlichen Vater Juppiter. Juppiter erhört Aiakos nicht sofort, dann aber doch und auf besondere Art: Als alle Menschen tot sind (Aiakos selbst und sein Sohn sind dank göttlicher Abstammung keine Menschen, sondern, wie es für Regierende passend ist, Halbgötter), krabbeln nur noch Ameisen auf der Erde herum, die sich von den Resten der Menschen nähren. Und Juppiter verwandelt diese Ameisen in neue Menschen von einer Art, die Regierende gern haben: »parcum genus est patiensque laborum / quaesitique tenax et quod quaesita reservet.« – »ein karges Geschlecht, ausdauernd in Arbeit,/ sparsam mit dem Erwerb und wohl das Erworbene wahrend.«

Das große Thema der Metamorphosen des Ovid sind die Verwandlungen, aus denen das Leben auf der Erde seit seinem Beginn besteht. Nichts bleibt, wie es ist, auch das Schreckliche wandelt sich. Hoffen wir, dass wir nicht erst Ameisen werden müssen, um uns mit Gottes Hilfe wieder in normale Menschen verwandeln zu dürfen.

Im lateinischen Urtext und in der deutschen Übersetzung des Gymnasiallehrers und Altphilologen Reinhard Soisjuste Suchier (geb. am 20. Juli 1823 in Veckerhagen und gestorben 13. Juli 1907 in Hanau ) findet sich der Text auf der Webseite https://www.gottwein.de/, wo man von Cookies weitgehend unbehelligt in den Schatztruhen der lateinischen und (alt)griechischen Literatur wühlen kann und nebenbei auch erfährt, was Cookie auf Latein heißt, nämlich »crustulus memoriabilis«!

 

Textsuche

Neben der freien Textsuche und dem Schlagwortregister besteht an dieser Stelle die Möglichkeit, die Suche nach bestimmten Texten weiter einzugrenzen. Sie können die Suchfelder »Schlagwort« und »Jahr« einzeln oder in Kombination mit den anderen beiden Feldern verwenden. Um die Suche auszulösen, drücken Sie bitte die Enter-Taste; zum Auffinden der jeweiligen Textstelle benutzen Sie bitte die Suchfunktion Ihres Browsers.