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Gedichte

Paul Verlaine
Brief

 

Durch quälende Geschäfte, Madame, bin ich den Blicken
Eures blauen
Augs entzogen – bei allen Göttern auf den Himmelsauen! –
Und schmachte hier und sterbe – wie ich in derlei Lagen
Immer schmachten muß und sterben – und schreite ohne Zagen
Aber herzensbitter durch feindliche Plagen und Sorgen.
Doch euer Schatten will immer in mich ragen und dringt am Morgen
In mein Denken, nachts in den Traum – bemerken Sie wohl!
bei Nacht
Und am Morgen, Madame – so daß, da meiner Sehnsucht Macht
Am Ende mein Gebein bezwingt, ich selbst kaum mehr bin
als ein Geist
Und mitten im Gewirr der Nichtigkeiten umflochten und umkreist
Von namenloser Gier mein Schatten in den deinen
Sich ergießt und beide sich auf Ewigkeit vereinen…

Dieweil verbleibe ich, oh Teuerste, Dein Knecht.

Und du? Verhält sich alles hübsch nach Wunsch und recht?
Die Katze, der Hund, die Perücke? Und Deine Freundin Silvanie?
Ist sie so schön wie immer? Schön wie nie?
Oh Silvanie, deren schwarzes Auge mich verliebt
Machen würde, du Teure, wenn nicht deines reizender blaute!
Silvanie, die mir manchmal die heimlichsten Blicke gibt,
Dient sie Dir noch als süße Vertraute?
Doch treibt mich ein Projekt, Madame, das keinen
Aufschub duldet, die Welt zu unterwerfen meinen
Händen. Und alle ihre Schätze, unwürdig wie ich bin,
Leg ich alsdann, Madame, zu Euren Füßen hin
Zum Zeichen einer Liebe, die vielleicht
Den berühmtesten Feuern und Bränden gleicht,
Die je das Herzensdunkel einer großen Frau erhellten.

Cleopatra ward weniger geliebt von Marc Anton
Und Caesar als Ihr von mir. Wie Caesar will ich Welten
Zertrümmern und Reiche zerschlagen
Für ein einziges Lächeln von Euch. Und um den Lohn
Eines einzigen Kusses will ich wie Marc Anton
Die Schande der feigen Flucht ertragen…

Doch nun Adieu. Mehr ist nicht gut zu sagen,
Du Teure. Die Zeit, die man beim Lesen eines Briefs verschwendet,
Lohnt nie die Mühe, die der Schreiber auf die Worte wendet.

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