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Seneca wünscht seinem Lucilius Gesundheit

Aus Seneca: Ad Lucilium epistulae morales – Briefe an Lucilius über Ethik  Buch III, epist. 28, 1-3

Für David Schmitz

»Du meinst also, das sei nur Dir passiert und so etwas habe es noch nie zuvor gegeben: Dass Du nach langer und abwechslungsreicher Reise zurückkehrst und verwundert feststellen musst: Du bist Deine Schwermut und Deine  Niedergeschlagenheit nicht losgeworden. Nichts hat sich gebessert. Ich sage Dir: Nicht den Himmelsstrich musst Du wechseln, unter dem Du wandelst, Du musst Deine Seele erneuern. Du kannst die Weltmeere umsegeln, Du kannst, wie unser Vergil es ausdrückte, Länder und Städte hinter Dir lassen, so oft und so weit, wie Du willst: Deine Fehler folgen Dir auf dem Fuße, egal wohin Du gehst. Als sich jemand bei Sokrates über denselben Befund beschwerte, antwortete er: Was Dich hier zu Hause bedrängt, ist genau das, was Dich in die Ferne getrieben hat. Wie, glaubst Du, sollen denn die Sehenswürdigkeiten und Überraschungen anderer Länder etwas daran ändern? Wie die Bekanntschaft mit fremden Städten und Landschaften Dir helfen? Vergeblich jagst Du durch die Weltgeschichte, sinnlos ist Deine rastlose Flucht. Willst Du wissen, warum? Wenn Du fliehst, fliehst Du immer mit Dir. Du musst die Lasten von Deiner Seele werfen: Sonst wird es Dir nirgendwo gefallen … Du wanderst dahin und dorthin, und gerade dieses Hin und Her macht die Last, die Du mit Dir führst, noch schwerer. Es ist wie bei einem Frachtschiff, wenn die schlecht vertäute Ladung hin und her rutscht und schließlich das Schiff auf der Seite, wo ein Übergewicht entsteht, zu sinken droht. Egal, was Du an den äußeren Umständen änderst, es wirkt gegen Dich, Du schadest Dir durch die Bewegung: Du versetzt einen Kranken in Panik und Angst.«

Durch besonders günstige Umstände bin ich vor Kurzem in die Lage gekommen, an einem universitären Latein-Lektürekurs – wenn auch nur mittelbar – teilnehmen zu dürfen. Gelesen werden Ausschnitte aus den »Briefen an Lucilius über Ethik« des römischen Schriftstellers Seneca (geb. 1 v. Chr. in Cordoba/Spanien, gest. 65 n. Chr. in Rom). Dieser weise und gelehrte Mann war Erzieher des legendären Kaisers Nero und fiel, einige Jahre nach dem Machtantritt seines Zöglings, in dessen Ungnade: Er möge sich umbringen, ließ Nero seinen Erzieher wissen. Was dieser auch tat. So bitter, möchte man sagen, kann es enden, wenn sich Lehrer nach den Ratschlägen ihrer Schüler richten.

Die »epistulae morales« sind eine recht umfangreiche Summe der Lese- und Lebenserfahrung Senecas. Sie sind nicht überall originell, aber immer kraftvoll und einprägsam formuliert. Seneca schrieb im Übrigen auch eindrucksvolle Theaterstücke: Die (ihm zugeschriebene) Tragödie »Medea« ist darunter und auch die Komödie »Apocolocyntosis«. Letztere zeigt den ernsten Philosophen als genialen Satiriker: Die damals übliche rituelle Vergöttlichung (»Apotheosis«) eines frisch verstorbenen Kaisers nutzte er, um sich über den als boshaft, verwahrlost und dümmlich geltenden Kaiser Claudius lustig zu machen: Er solle, schlug Seneca vor, nach seinem Tode nicht als Gott, sondern als Flaschenkürbis (lateinisch »colocynthos«) in den Himmel aufgenommen werden.

Die oben wiedergegebene Textstelle aus den Briefen an Lucilius kann dem einen oder anderen vielleicht helfen, den Schmerz der derzeit geltenden Reiseeinschränkungen besser zu ertragen. Ich zum Beispiel fahre in der dunklen Jahreszeit gern in südliche Lichtverhältnisse. Und so sehr ich Seneca zustimmen muss in seiner Reiseskepsis: Ich würde diese Briefstelle noch sehr viel lieber zusammen mit dem o.g. Lateinstudenten übersetzt haben, wenn es in Senecas Geburtsstadt Cordoba (Sonne, 16 Grad), seinem Wohnort  Rom (Sonne, 16 Grad) dem Wohnort des Sokrates Athen  (leicht bewölkt, 18 Grad) oder meinem Lieblingswinteraufenthalt Las Palmas de Gran Canaria (Sonne, 21 Grad) hätte geschehen können.

So aber: Frohe Weihnachten aus Weimar!

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