Unter Freund*innen (01.05.23)
Ein Freund, etwas jünger als ich, ist gerade dabei, seine Tagebücher aus den letzten vier Jahrzehnten zu sichten. Er sagt, das meiste, was er vorfand, sei allenfalls für ihn interessant, manchmal auch das nicht. Hin und wieder seien ihm jedoch Sätze oder Satzgruppen »unterlaufen«, die vielleicht als Aphorismen oder, bei entsprechend weitem Verständnis des Genres, als eine Form sachlicher Poesie durchgehen könnten. Einiges davon hat er mir zur Verfügung gestellt. Eine kleine Auswahl daraus folgt hier. Die etwas eigenwillige Orthographie meines Freundes habe ich beibehalten.
»Natürliche dummheit vereint mit künstlicher intelligenz: Wenn die logik eine antwort hat, war es kein wirkliches problem.«
»Zu M.E.
Die wahrheit ist, dass ich sie nie ernst genommen habe.
Ich habe sie nie bei einem eigenen gedanken erwischt.
Ich habe nicht gewusst, dass sie clever ist.
Ich habe nicht gewusst, dass sie auf eine clevere art opportunistisch ist.
Ich habe nicht gedacht, dass sie den arm auf meine schulter legen und mir dabei ein bein stellen würde.
Ich habe nicht gedacht, dass sie, vor die wahl gestellt, ihre meinung zu sagen oder die sympathie ihrer vorgesetzten zu erwerben, letzteres vorzöge.
Ich habe nicht erwartet, dass ich gleich anschließend eine lobrede auf sie halten würde.
Ich war gerührt darüber, dass sie jedes lobeswort, das ich für sie gefunden hatte, glaubte.
Ein herr sagte später: Wunderbar, wie sie geredet haben! Wie ein schuldirektor bei der abiturfeier!«
»Komponieren, wenn man eine idee hat, kann jeder. Komponieren ohne eine idee, da fängt die kunst an. Angeblich von Boris Blacher.«
»Durch abwesenheit zu ruhm kommen.«
»Gewissensbisse sind halb so schlimm, wenn man keine zähne mehr hat.«
»Hüte dich vor sauerteig! Sprich nicht von der bedeutung des abendrots! Bist du klüger als ein kondensstreifen? Kannst du besser fliegen als eine heuschrecke? Bruder, geh in dich, das geld klimpert zu laut in deinem herzen.«
»Eitel ist der wind, der sagt, ich komme von der sonne und habe botschaften. Eitel ist der regen, der sagt, ich komme aus der wüste und bringe sand mit für eure burgen.«
»Ich könnte genausogut willi heißen, das hätte mein schicksal kaum verändert.«