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Weniger. Ein Gastbeitrag von Herbert Küppers (15.01.23)

Mit Herbert Küppers habe ich ab 1962 – wie sagt man? – die Schulbank gedrückt. Wir haben noch den klassischen Feldwebelauftritt mancher Studienräte erlebt und im großen Jahr 1968 Abitur gemacht, altsprachlich, in Köln. Herbert hat vor einer Reihe von Jahren eine Initiative gestartet, die unter dem interessanten Titel »weniger.« läuft. Es geht, wenn ich es richtig sehe, darum, dem überall verbreiteten Streben nach »mehr« etwas entgegenzusetzen, eben ein prinzipielles und zugleich persönliches »weniger«, ohne Fanatismus, im Frieden, auch mit sich selbst. Näheres findet man auf der Webseite »wenigerpunkt.de«. Dass man auch mit dieser eigentlich stillen und freundlichen Haltung anecken kann, zum Beispiel bei den generalstabsmäßig organisierten Klima-Aktivisten von Lützerath, die manchmal auftreten wie vermummte Studienräte aus den 60ern, zeigt der hier als Gastbeitrag erscheinende Bericht vom 8. Januar 2023, in dem es auch allerhand zu schmunzeln gibt.

Christoph Schmitz-Scholemann

Herbert Küppers:

10 vermummte gegen ein wenigerpünktchen. lützi lebt.

wdr5 bringt die nachrichten. ich schnipple gemüse und lasse in den krimi am samstag weiterlaufen. »bitte beachten«, heisst es jetzt,  »in diesem hörspiel kommen körperliche und seelische gewalt vor.« im wdr samstags-krimi. echt jetzt.

michael zobels waldspaziergang nach lützerath sonntagmorgen findet riesigen anklang, ich schätze sicher um die 2000 leute.  stelle mich unterm wendehammer an den abhang zur abbruchkante, wo die ordnungsmacht einen massiven riegel bildet. ein steter fluss waldspaziergänger und waldspaziergängerinnen vorbei, wenigerpunkt vor staatsmacht, grube und kraftwerk … ein postkartenmotiv. luisa neubauer mit  entourage, sieht grau und angespannt aus. und lupft ihr händi um mich noch höchstselbst abzulichten. oioi. oi.

ein satter, windiger schauer zwischendurch, so gegen halb drei werd ich im still stehn nicht mehr recht warm, bewege mich zur mahnwache hoch, himmel und menschen, musik, volksfest mit bannern. laufe richtung ortseingang, zu eckhards altem hof hoch, überall werden turmhohe hochsitze in den dicken asphalt gestemmt und verzurrt, am wegesrand eine sehr massive panzersperre. besetzertreiben eben. biege noch einmal auf die breite grasnarbe zur grube hin ab, von der grube her verstärkermusik. ein paar schritte in die wiese hinein, schon wird das weniger. schild von zwei, drei schwarzvermummten jungmännern aufgehalten. du bist doch der mit dem trecker, nein, genau sagt einer »ihr seid doch die«, juchu, vermutet also die starke wenigerpunkt bewegung in meinem rücken. ich sage, bin heut nicht mit dem trecker da. »du gehst jetzt« teilt er mit. »querdenker und verschwörer dulden wir hier nicht«.  mir bleibt mal wieder der mund offenstehen, werde etwas laut, berühre einen leicht bei der schulter. der dreht sich weg, sagt, nicht anfassen und: diskutiert wird jetzt nicht. angelockt durch meine lautstärke füllt sich die schwarzenphalanx wie von geisterhand in die breite, schliesslich steht wenigerpunkt einer geschlossenen mauer von schwarzweissen nur-augen-versteckspieler:innen gegenüber und weil ich mich nie so einfach vertreiben lasse und sie offensichtlich noch vor gewalt zurückschrecken muss doch noch diskutiert werden. ich frage sie, nach welchem recht sie mich rausschmeissen wollen, ja es gebe da den beschluss vom camp plenum, der sei »uns« auch schon mitgeteilt worden, beleidigende, kränkende worte würden nicht geduldet, so jemand dürfe nicht am platz sein, gegen impfen, gendergaga, dicke, dumme, das seien schreckliche sachen. ich glotze. mitgeteilt »sie« mirwannwo? und stelle richtig, dass auf meinem wagen nie weniger impfen gestanden haben kann, dass nicht gender gaga sondern genderstalinismus und weniger. doofe draufsteht und dass ich es eben obszön finde, dass inzwischen weit mehr leute an adipositas als an hunger sterben, tendenz steigend. im augenwinkel nehme ich wahr, dass ein  unvermummter mit einem kleinen aufnahmegerät hantiert, mit ihnen tuschelt. sage, bin noch freier bürger auf freiem grund, ernte hämisches gelächter. sage ihr seid die stalinisten, wenn das eure vorstellung von anarchie, freiheit ist, dann wünsch ich euch eine gute zukunft. nicht einmal ihre decknamen rücken sie raus. eine rechtsgrundlage lässt sich naturgemäss nicht klären, nur soviel, dass eine typin sagt, ich lebe schon jahre hier und dass es eben den beschluss des hohen rates gibt und der mir ja mitgeteilt ist. diskutiert wird nicht. was verletzend ist bestimmen wir. ermächtigung einer blase junger leute mit äusserst empfindlichem weltbild. noch im nirgendwo hier. wenn das die zukunft sein soll, die fortschrittliche generation ist, dann, sagichmal, kann ich auch gleich meinen eselsohrigenen katechismus aus dem keller wieder hochholen. ich fühle mich hilflos, bedrängt, nichts dringt durch bei denen, trete gegenüber dieser übermacht an korrektheit doch den abzug an, zwei typen weichen mir nicht von der pelle, sagen, dass sie sichergehen wollen. eine ahnung von polizeistaat. orwell. neusprech.  wie sagt, ich glaube precht, im gespräch mit svenja flasspöhler: wir könnten uns zutode sensibilisieren. aber gestorben wird jaimmer, gell. in der reinen welt dieser widerständler:innen sind es ironie. satire. frechheit. freiheit. lebendigkeit. kunst. solidarität. aber wohlan. jürgen t. ist in den siebzigern auch mit der maobibel rumgelaufen.

sie haben mich heute geschickt abseits der herde abgepasst. und selbstredend werd ich wiederkommen am 14. zur grossdemo – und klug bei der herde bleiben. auf dem weg nach holzweiler zum twike überhole ich einen rentner mit zwei frischgebadeten mini collies. ich sage, die sind bei der matschepampe hier auch nicht leicht sauberzuhalten. er sagt, wenn das hier vorbei ist, ist das kein problem mehr. und gibt mir seine absolute insiderinfo: mittwoch. 5000 polizeikräfte, von überallher.

nachtrag: ich erlebe gerade, dass einige leser:innen beim begriff »genderstalinismus« schnappatmung kriegen. deshalb will ich erklären, was ich damit meine. ich meine, über das gendern müssen wir uns auseinandersetzen, erlebe aber eine grosse rigorosität, mit der nicht strenggläubige und andersdenkende ausgegrenzt werden. siehe oben. stalinismus ist für mich, wenn es nur eine meinung geben darf.

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