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Wie ich die Nachricht von meinem Versterben überlebte. Eine wahre Geschichte (01.05.21)

Am 15. April 2021 morgens gegen 9 Uhr klingelte bei uns zu Hause das Festnetztelefon. Ich bat meine Frau, den Hörer abzunehmen und verdrückte mich in mein Arbeitszimmer. Fünf Minuten später kam sie, schaute mich prüfend an und sagte in den Hörer: »Er lebt.« Dann reichte sie mir das Telefon. Am andern Ende waren Freund L. und seine Frau P. L war von 1980 bis 2001 mein Kollege in der Düsseldorfer Arbeitsgerichtsbarkeit. Was er mir erzählte, war dies: Unser gemeinsamer Freund (und ebenfalls Kollege) A. hatte sich an die Gerichtsverwaltung in Düsseldorf gewandt, und zwar aus einem hier nicht näher interessierenden Anlass, der mit einem gewissen Dr. W. und mir zu tun hatte. Die Antwort, die A. von der Gerichtsverwaltung am frühen Morgen des 15. April 2021 erhielt, lautete wörtlich:

»Sehr geehrter Herr Dr. P.,

Dr. W. und Herr Schmitz-Scholemann sind verstorben.

Alles Gute!«

Als mein Freund mir die Geschichte zu Ende erzählt und ich ihm glaubhaft versichert hatte, dass er mit mir sprach und ich, im Gegensatz zu dem im vorigen Jahr leider verstorbenen Kollegen Dr. W., lebte, waren er und seine Frau sehr erleichtert. Sie hatten sich die größten Sorgen gemacht. Ich dagegen brach in einen ziemlich ausführlichen Lachkrampf aus. Besonders belustigte mich die schmucklose Form der »Todesanzeige« – mit dem irgendwie aufmunternden Zuruf »Alles Gute! «.

Als das Telefongespräch beendet war und sich mein Lachkrampf gelegt hatte, befiel mich dann doch eine gewisse Nachdenklichkeit. Ja, ich muss es zugeben, in gewissen Situationen ist mir der Aberglaube nicht fremd. Hat man nicht von Mordserien gelesen, bei denen jeder Tat eine Todesannonce vorausging? Und war ich nicht gerade mit einem Buch  befasst, das den Titel »Garder le Mort – Den Toten bewachen« trug? War nicht der 16. April der Todestag meines Vaters? Konnte jemand beim L.-Gericht in D. von all dem wissen? Oder sortierte man einfach die Listen der ehemaligen Richter nach Jahrgängen aus? Aber war das dann nicht auffällig früh – ich meine, ich bin Jahrgang 49, und 71 ist bestimmt nicht mehr ganz jung, aber doch kein Alter, bei dem ein Ableben gewissermaßen amtlich zu vermuten ist? Und wenn doch, wäre das nicht ein Fall von Altersdiskriminierung? Andererseits, dieses »Alles Gute! « am Schluss – wies es vielleicht auf einen – nicht ganz so geschmackvollen – Scherz hin?

Fragen über Fragen, keine konnte ich beantworten. Ein Literaturkenner wies mich darauf hin, dass solche Probleme auch schon große Geister beschäftigt haben, zum Beispiel Friedrich Schiller, der bekanntlich bis 1805 lebte: Am 8. Juni 1791 war in der Zeitung zu lesen: »Jena. Der Liebling der deutschen Musen, Hofrath Schiller ist hier gestorben.« Freund A. schrieb: »Mortui dicti (annis) diuturniores apparent« zu Deutsch wohl »Totgesagte leben länger«. Und so besann ich mich auf eine Lebensregel, die man gelegentlich in Glückskeksen, aber auch in jedem Illustrierten-Horoskop finden kann, und die trotzdem richtig ist: »Sieh es als Chance!«

Aber eine Chance zu was? Nun ja, im Grunde, so sagte ich mir, war die Nachricht des Gerichts in Düsseldorf ja gar nicht so falsch. Nein, die Aussage war sogar richtig. Nur eben etwas verfrüht. Ohne Zweifel werde ich eines nicht allzu fernen Tages verstorben sein. Die einzige Frage in solchen Fällen ist, wie lange es dauern wird. Und genau für diese Situation, die ja eigentlich unser aller Schicksal ist, gibt es ein Trostgedicht, das man sich, egal wie oft man es schon gehört hat, immer wieder vorflüstern kann, weil es so wahr ist, und zwar immer, auch in diesen verseuchten Zeiten.

du, frag nicht, denn man soll es nicht wissen: welches mir, welches dir,
welches ende die götter uns geben. Leukonoe, frag nicht
babylonische horoskope. besser ist dulden was kommt.
ob Jupiter viele herbste noch schenkt, ob dies der letzte ist,
der jetzt an widerstrebenden klippen welle um welle bricht
des meers – sei klug und kläre den wein und schneide die wachsende
hoffnung zurück. ach, während wir reden, entflieht die neidische
zeit: carpe diem. lebe jetzt. trau niemals dem morgigen tag.

Tu ne quaesieris (scire nefas) quem mihi, quem tibi
finem di dederint, Leuconoe, nec Babylonios
temptaris numeros. Vt melius quicquid erit pati!
Seu pluris hiemes seu tribuit Iuppiter ultimam,
quae nunc oppositis debilitat pumicibus mare
Tyrrhenum, sapias, uina liques et spatio breui
spem longam reseces. Dum loquimur, fugerit inuida
aetas: carpe diem, quam minimum credula postero.

Horaz, Oden, 1. Buch, 11. Ode, übers. v. Verf.

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