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Ein glückloser Lyriker anno 300 vor Christus. »An die Hausmaus« (15.03.25)

 

Der Dichter Leonidas von Tarent lebte um 300 vor Christus. Seine Heimat war Unteritalien. Er schrieb Griechisch, das damals rund ums Mittelmeer  die Sprache war, die fast jeder konnte. Von Leonidas sind vor allem Epigramme überliefert, kurze, pointierte Gedichte, oftmals spöttischen Inhalts, meist als klassische Distichen abgefasst: Rhythmische, nicht gereimte Zweizeiler.

Leonidas scheint in seiner Heimat als Poet nur mäßig erfolgreich gewesen zu sein. Schon damals galt es als weniger gute Geschäftsidee, sich der Dichtkunst zu verschreiben. Leonidas resignierte aber nicht. Er tat das, was Dichter auch heute tun können: Er ging auf Lese-Reisen. Jahrelang brachte er als Wanderpoet seine Verse unters Volk. Er schrieb gut verständlich. Er wusste, was die einfachen Leute bewegte und eben davon handeln seine Gedichte: Horoskope, Unfälle, Geburten, Beerdigungen, erotische Erlebnisse, Essen, berufliches Scheitern, Altwerden, Musik, Erziehung, der Alkohol und nicht zuletzt ein herzzerreißendes Lied auf das Grab einer viel zu früh verstorbenen sangeskundigen Grille. Und das Tolle ist, man versteht ihn bis heute. Einige seiner Verse handeln von ihm selbst und vom Wandern, das ja seine Existenz bestimmte. Wie bei allen seinen Gedichten spürt man auch hier, wie sehr Leonidas ein Freund differenzierten Beobachtens und der gedanklichen Dynamik war, die sich aus der Verflochtenheit konkurrierender Absichten und Gefühle ergibt, wie beispielsweise dem physischen Überlebenswunsch des Dichters, der Existenz als Wanderer und dem Wunsch, sich den Avancen der Musen niemals zu verschließen. Er schrieb:

»Nein, so ein Wanderleben ist wahrlich kein richtiges Leben,
Aber Trost fand ich doch: Mich beschenkten die Musen
Reich mit reizenden Versen und lieblichen Liedern. Mein
Kummer wurde Musik – und Leonidas berühmt.«

In einem anderem Gedicht berichtet Leonidas von einem ziemlich einseitigen Gespräch zwischen dem armen Poeten und einer Maus. Einseitig heißt: Die Maus kommt nicht zu Wort, sie spricht durch ihre Taten. Der Dichter ärgert sich, dass die Maus ausgerechnet in seinem, des so erbärmlich armen Dichters Vorratsraum, das Korn auffrisst, obwohl er selbst unglaublich bescheiden sei und mit wenig Brot und noch weniger Salz sein Auskommen habe. Man ist ein bißchen hin- und hergerissen zwischen dem übertriebenen Selbstmitleid des Dichters und der stumm vor sich hin futternden Maus. Beide tun ja letztlich nur das, was Mäuse und Menschen eben tun müssen – kraft dessen, was die einen DNA, andere Schicksal und wieder andere Gottes Willen nennen.

Der Dichter an die Hausmaus

Weg mit Dir! Verschwinde, diebische Maus! Verlass meine Hütte auf der
Stelle! Meine einfache Bleibe ernährt ja nicht einmal mich,
Mich, den bescheidenen Dichter: Zwei Scheiben Brot am Tag, eine
Prise Salz – das genügt so einfachen Männern wie mir.
Dir aber, Mäuschen, sind wohl die Reste von meinem Tisch nicht
Gut genug, um Dich danach zu bücken? Lieber
Stöberst Du mir in Keller und Kammer nach frischen Körnern?
Hau endlich ab! Zum Nachbarn mit Dir! Und friss Dich ordentlich satt!

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