»Der verbotene Friede« (15.06.24)
Wenn man in dieser schönen Stadt Weimar ein bißchen die Ohren aufmacht, dann ist leicht zu begreifen, dass die gegenwärtige Unzufriedenheit mit der Politik auch mit dem Krieg in der Ukraine zusammenhängt. Viele Leute hier im Osten Deutschlands erinnern sich an die russische Besatzung, die erst vor 30 Jahren endete; in der Stadt gibt es zwei russische Friedhöfe mit Soldatengräbern. Ich kenne hier nur wenige, denen die teuren Waffenlieferungen gefallen.
Ich glaube, die Kriegs-Aversion kommt nicht daher, dass man Putin und seine Leute liebt. Es liegt eher daran, dass man sich selbst und seine Lieben mag. Man lebt gern und ahnt, wie schnell die Rationalität von Schlag und Gegenschlag aus dem Ruder laufen kann, wie schwer Schuld und Unschuld zu unterscheiden sind. Natürlich kommt immer das Argument, man müsse der Gewalt mit Gewalt entgegentreten, sonst nehme sie überhand. Das kann sein, ist aber unglücklicherweise genau das Argument, das mir um 1968 in Köln begegnete. Damals musste ich mich vor einem vom Bundesverteidigungsministerium bestückten Ausschuss strenger Herren dafür rechtfertigen, dass ich den Kriegsdienst mit der Waffe verweigerte. Ich sagte, die Frage nach der Bereitschaft zum Töten anderer Menschen um gerechter Zwecke willen könne ich nicht politisch, sondern nur vor dem Tribunal meines Gewissens beantworten. Die strengen Herren schüttelten den Kopf und der Subtext war: »Warten Sie nur, Herr Schmitz, bis der Russe am Rhein steht! Dann sprechen wir uns wieder.«
Der Russe kam zwar nicht an den Rhein, aber im Jahre 1982 gab es in der Bundesrepublik und auch in der DDR eine heftige Bewegung gegen die damals vom Warschauer Pakt einerseits und der NATO andererseits forcierte Aufrüstung mit Mittelstrecken-Atomraketen: Deutschland wäre im sogenannten Ernstfall die Kampfzone für die große Schlacht der westlichen Werte gegen den Kommunismus geworden. Vielleicht hätten die westlichen Werte überlebt, die Menschen jedenfalls nicht. In einem ebenfalls 1982 erschienenen Buch mit dem Titel »Der verbotene Friede« schrieb eine Schriftstellerin* aus Köln:
»Frieden? Das darf man doch nicht mehr laut sagen, sonst ist man ja schon ein Natogegner, Feind der freien Welt und so weiter und so fort. Und um den faulen Frieden beten will ich nicht. Man kann nicht bitten: Gott schick uns bitte den Frieden des atomaren Gleichgewichts.«
Ich finde, das ist auch heute wahr und richtig. Natürlich bleibt immer der Einwand, dass der Krieg nicht vom Himmel gefallen ist, sondern von einem bekämpfenswerten Schurken angerichtet wurde. Darf man sich nicht wehren? Klar darf man. Aber wieviele persönlich unschuldige Menschen darf ich dafür in Haft nehmen? Und dass der andere die Schuld am Krieg trägt, ist kein Grund gegen den Frieden. Im Gegenteil. Frieden setzt voraus, dass die Verkettung von Schuld, Rache, neuer Schuld, Gegenrache, wieder neuer Schuld etc. durchtrennt wird. Das weiß die Menschheit eigentlich seit Jahrtausenden. In Homers Odyssee wie auch in der Orestie des Äschylos ist es die Göttin der Klugheit, Athene, die den Menschen die einzige Option zur Beendigung des Krieges zeigt: Es ist der wechselseitige Gewaltverzicht, damit Recht an die Stelle des Kriegs treten kann.
* Die Kölner Schriftstellerin hieß Waltraut Schmitz-Bunse (1926–1993). Sie war meine Mutter. Wie ich vor wenigen Tagen zu meiner großen Überraschung und Freude feststellte, enthält das Buch auch den Beitrag einer befreundeten in Weimar lebenden Pfarrerin, die in den 82er Zeiten in der DDR-Friedensbewegung aktiv war.