4793

Neue Beiträge

Ein Gedicht gegen Gewalt (01.01.25)

 

Dass gegenwärtig nicht nur in Deutschland die Neigung zunimmt, Streit mit Mitteln der Gewalt auszutragen, hat mich an ein Gedicht des römischen Dichters Horaz (65 – 8 v. Chr.) erinnert. Die sogenannte 7. Epode (Epode =  „Abgesang“) ist ein Gedicht gegen den Bürgerkrieg. Als Horaz sie schrieb, war das römische Reich von inneren Kämpfen zerrissen. Nach der Ermordung des Diktators Caesar im Jahre 44 v. Chr. kämpften Octavian (der spätere Augustus) und Antonius gegeneinander um die Macht in der Stadt Rom und im Reich. Horaz wollte mit seinen Versen vor einer Fortsetzung des Kriegs warnen. Die Warnung fand kein Gehör. Der Bürgerkrieg erreichte seinen verlustreichen Höhepunkt im September des Jahres 31 vor Christus in der Seeschlacht bei Actium im Westen des heutigen Griechenlands.

In der 7. Epode  fragt Horaz am Ende auch nach den Ursachen für den Bürgerkrieg. Wie kann es sein, dass sich eine eigentlich hochkultivierte, republikanisch, ja in gewissem Maße demokratisch organisierte Bürgerschaft dermaßen zerstreitet, dass sich die Bürger im Wortsinne „bis aufs Blut“ bekämpfen? Bewohnen sie nicht dieselbe Heimatstadt? Haben sie nicht dieselben Feinde, sei es in Karthago oder in Britannien? Warum  verhalten sie sich schlimmer als die wilden Tiere?

Horaz greift auf den römischen Gründungsmythos zurück: Danach stand  am Anfang der Stadt ein Brüderpaar, das (der Legende nach im Jahre 753 v.- Chr.) bei der Grenzziehung für das Stadtgebiet in einen Streit geriet, der mit dem Mord des Romulus an seinem Zwillingsbruder Remus endete. Die Stadt steht, so Horaz, im Schatten einer Mord-Schuld, die sich forterbt.

Damit knüpft Horaz an den Anfang des griechischen Rechtsdenkens an, das den Teufelskreis von Schuld und Rache, neuer Schuld und neuer Rache durchbrechen wollte und den Bürgern einer Stadt Gewaltverzicht durch Friedensschwur als Grundlage des Zusammenlebens abverlangte.

Horaz 7. Epode

wohin ach wohin, ihr schändlichen, rennt ihr?
was zieht ihr von neuem die schwerter?
hat nicht genug lateinisches blut die erde
getränkt und die flüsse gefärbt?
ihr rennt nicht dass Rom Karthagos hochmütige
türme verbrennt oder dass endlich
die Briten, die unberührten, in ketten die
Via Sacra hinabsteigen
müssen. ihr wollt dass die stadt sich nach feindeswunsch
mit eigener hand entleibt! das
ist weder bei wölfen noch löwen sitte: die
eigene art zu zerfleischen.
treibt euch die blinde wut oder der schärfere
stachel alter schuld? antwortet!
schweigen. bleiche blässe entfärbt eure wangen.
die zerwühlten herzen erstarrt.
ja es ist so: das schicksal hetzt euch hart gegen
einander. ihr lebt im schatten
des brudermords: zum fluch der enkel floss das blut
des arglosen Remus aufs feld.

Quo, quo scelesti ruitis? aut cur dexteris
aptantur enses conditi?
parumne campis atque Neptuno super
fusum est Latini sanguinis,
non ut superbas invidae Karthaginis
Romanus arces ureret
intactus aut Britannus ut descenderet
sacra catenatus via,
sed ut secundum vota Parthorum sua
urbs haec periret dextera?
neque hic lupis mos nec fuit leonibus
umquam nisi in dispar feris.
furorne caecus an rapit vis acrior
an culpa? responsum date.
tacent et albus ora pallor inficit
mentesque perculsae stupent.
sic est: acerba fata Romanos agunt
scelusque fraternae necis,
ut inmerentis fluxit in terram Remi
sacer nepotibus cruor.

 

 

 

 

Textsuche

Neben der freien Textsuche und dem Schlagwortregister besteht an dieser Stelle die Möglichkeit, die Suche nach bestimmten Texten weiter einzugrenzen. Sie können die Suchfelder »Schlagwort« und »Jahr« einzeln oder in Kombination mit den anderen beiden Feldern verwenden. Um die Suche auszulösen, drücken Sie bitte die Enter-Taste; zum Auffinden der jeweiligen Textstelle benutzen Sie bitte die Suchfunktion Ihres Browsers.