Nur nach vorn gucken? (01.02.25)
Im Deutschen gibt es ein schönes Adjektiv für wünschenswertes Verhalten von Menschen, die Verantwortung für andere zu tragen haben. Es lautet »umsichtig«. Was Umsicht bedeutet, erkennt man, wenn mans nicht ohnehin weiß, an den Synonymen: bedachtsam, sorgfältig, vorausschauend, klug, besonnen, vorsichtig usf.
Als günstige Eigenschaft ist Umsicht nicht nur in akademischen Berufen, wie etwa bei Ärztinnen, Lehrern, Richtern gefragt. Umsicht zeichnet auch den guten Fußballspieler aus: Legendär ist der eintrainierte Schulterblick von Toni Kroos und Florian Wirtz, der sie in den Stand setzt, nicht nur den Ball und ihren Weg nach vorne vor Augen zu haben, sondern die ganze Breite und Tiefe des Raums neben sich und hinter sich wahrzunehmen und das Spiel zu »lesen«. Das ist essentiell für jeden Mannschaftssport. Für Schiedsrichter in diesem Genre gilt Ähnliches. Und natürlich ist Umsicht auch bei der Teilnahme am Straßenverkehr wichtig. Es sollte für Lenker von Kraftfahrzeugen kein Winkel rund um das Auto »tot« sein. Wer nur nach vorne schaut, ist eine Gefahr für alle anderen.
Man kann Umsicht sogar ganz allgemein als eine soziale Tugend betrachten. Kein Mensch lebt für sich allein. Weshalb es als vorteilhaft anzusehen ist, wahrzunehmen, was sich um einen herum abspielt. Der römische Dichter Horaz schrieb: »Tua res agitur, paries cum proximus ardet.« Es geht um Dich, wenn das Haus Deines Nachbarn brennt. Ene schöne Metapher für die Unentbehrlichkeit sozialen Zusammenhalts.
Wenn ein gebildeter Politiker, der ein Land führen will, in einer für ihn offenbar schwierigen Lage verkündet, sich bei bei der Lösung eines Problems von dem Motto leiten zu lassen »Ich gucke nicht nach rechts, ich gucke nicht nach links, ich gucke nur nach vorne«, dann muss man sich, glaube ich, Sorgen machen. Er scheint nervös zu sein, er scheint nicht mehr genau zu wissen, was er eigentlich sagt. Er sagt nämlich, dass er nicht vorhat, mit Umsicht zu regieren, dass ihm Kollateral-Schäden aller Art, zum Beispiel die Verletzung christlicher Gebote, egal sind. Wer nicht nach rechts und links schaut, hat zwar einen graden Blick, aber nur auf sein eigenes Ziel. Wer nicht weiß, was links und rechts und hinter ihm ist, weiß nicht, wo er selbst ist. Er hat die Orientierung verloren.
Im Internet gibt es eine schöne Webseite mit dem Titel »gegenteile.net« Dort findet man eine Sammlung von Adjektiven, die als das Gegenteil von »Umsicht« anzusehen sind: Besonders schmeichelhaft ist keine der Eigenschaften, die wir beim Nur-nach-vorne-Gucker erwarten dürfen.
empathielos unaufmerksam schnell egozentrisch abgelenkt unachtsam spontan kurzsichtig selbstsüchtig hastig gnadenlos skrupellos tyrannisch ichbezogen brutal ungestüm arrogant unkonzentriert eigennützig selbstverliebt selbstgefällig engstirnig fahrlässig knallhart schonungslos unerbittlich eigensüchtig verträumt zerstreut abwesend gelangweilt unvorsichtig nahsichtig fahrig narzisstisch nachlässig unbedacht desinteressiert eigensinnig geistesabwesend blind achtlos bedenkenlos beinhart gedankenlos kompromisslos rabiat sorglos streng unnachgiebig