Reich und Mächtig in der Unterwelt. Eine Satire (01.04.25)
Es kann einen verwundern, mit welcher Offenheit neuerdings reiche und mächtige Menschen sowohl mit ihrem Reichtum als auch mit ihrer Macht prahlen, mit dem Missbrauch ihrer Möglichkeiten drohen und diese Drohungen auch wahrmachen. Man könnte sich fragen, ob diese reichen und mächtigen Menschen, die andere erpressen, verhöhnen, bedrohen, nicht mit der Möglichkeit rechnen, irgendwann zur Rechenschaft gezogen zu werden, wenn auch vielleicht erst – aber spätestens dann! – beim Jüngsten Gericht.
Solche Fragen scheinen bereits vor knapp 2000 Jahren die Geister bewegt zu haben. Auch damals gab es selbstverliebte Reiche und Mächtige, die über Leichen gingen. Und natürlich gab es Menschen, die sich darüber aufregten. Wir wissen davon u.a. aus den sogenannten »Totengesprächen« des griechischen Schriftstellers Lukian*.
Die »Totengespräche« sind fiktive Unterhaltungen zwischen berühmten Verstorbenen im Totenreich. In der dritten dieser Unterredungen beschwert sich König Krösus bei Pluto, dem Herrscher des Totenreiches, dass ein gewisser Satiriker namens Menippos in den Hades gekommen sei, um sich darüber lustig zu machen, dass er, Krösus – wie auch andere im irdischen Leben sehr reich gewesene Menschen – ihre Zeit im Hades mit Klagen und Jammern über den mit dem Sterben verbundenen Vermögensverlust verbringen.
Lukian von Samosata: Totengespräche, Kapitel 3
Die Personen:
Pluto – Herrscher im Totenreich
Vier Verstorbene:
Menippos – satirischer Schriftsteller
Krösus – sagenhafter König von Lydien, zu Lebzeiten reichster Mann der Welt
Midas – sagenhafter phrygischer König, bekannt dafür, dass er unendlich dumm war und dass sich alles, was er berührte, in Gold verwandelte
Sardanapal – sagenhafter Herrscher von Niniwe, bekannt für seinen zügellosen Erotismus
Krösus:
Mein lieber Pluto, es ist ja alles schön und gut hier unten im Hades, aber eins geht nun wirklich nicht. Dieser zänkische Kerl, dieser Menippos, der ewig was zu meckern hat und sich über alles lustig macht, der muss hier weg, sonst gehen nämlich wir anderen.
Pluto:
Du vergisst wohl, dass Ihr alle tot seid! Du bist tot und Deine Kumpels auch, hier sind alle tot außer mir. Auch Menippos ist tot. Wie kann er Dir also schaden, er lebt ja gar nicht.
Krösus:
Tot, oder nicht, das ist jetzt mal egal. Jedenfalls ist es nämlich so: Wenn wir drei, die wir auf der Erde wie die Könige gelebt haben, also Midas, der reichste Mann überhaupt, Sardanapal, der größte Lüstling, den die Götter je gesehen haben, und ich, Krösus, Inbegriff des grenzenlosen Reichtums … also wenn wir drei hier unten zusammensitzen und weinen und jammern und schütten uns unsere Herzen aus und stöhnen über alles, was wir auf Erden hatten und jetzt eben nicht mehr haben, dann tun wir das mit allem Recht – und da kommt dieser elende Menippos, dieser miese Komiker, und lacht sich kaputt über uns und beschimpft uns als erbärmliche Sklaven, Nichtstuer, Schädlinge und so weiter, und dann fängt er auch noch an zu singen, und zwar so schief, dass uns unsere ganzen schönen Klagelieder im Halse stecken bleiben! Das ist doch unverschämt. Das verdirbt einem komplett den Spaß am Selbstmitleid!
Pluto:
Menippos! Her mit Dir! Hast Du gehört, was man Dir vorwirft? Menippos! Was antwortest Du?
Menippos:
Immer die Wahrheit, nichts als die Wahrheit! Ich hasse diese Missgeburten, nichtswürdige Dummköpfe sind sie. Es reicht ihnen nicht, dass sie ein dreckiges, verdorbenes, unmoralisches und grundschlechtes Leben geführt haben, sie wollen es sogar in der Totenwelt weiter so treiben, obwohl sie doch längst den Löffel abgegeben haben.
Pluto:
Wie Du redest!!! Das ist nicht in Ordnung, Menippos. Diese Leute haben im Unterschied zu anderen viele gute Gründe, ihren Tod zu betrauern. Bedenke nur, was sie auf der Erde hinterlassen haben: Reichtum, Macht, Lustgewinn – alles ohne Ende und Grenze!
Menippos:
Höre ich richtig? Sogar Du, Pluto, Du hartgesottener Unterweltfürst, sogar Du hast Mitleid mit dem Gejammer der Reichen und der Lüstlinge?
Pluto:
Nein! Mitleid habe ich nicht. Aber ich, wie soll ich sagen, ich mag einfach keine Streitereien hier unten. Sowas dulde ich nicht. Es soll friedlich zugehn im Totenreich …(geht ab)
Menippos:
Oh Krösus, Sardanapal und Midas! Ihr Abschaum der Menschheit von Lydien, Phrygien und Assyrien, Aussatz und Dreck, von Euch lasse ich mir nichts sagen, Ihr werdet mir den Mund nicht verbieten können, egal wohin Ihr Euch verkriecht, ich bin hinter Euch her, ich verfolge Euch, ich werde weiter Eure Schande beschimpfen und besingen und Euch auslachen, ich mach Euch fertig.
Krösus:
Muss man sich das gefallen lassen, unerträglicher Kerl!
Menippos:
Unerträglich? Ja! Aber die Unerträglichen seid Ihr! Und Ihr wart schon in Eurem Leben unerträglich! Ihr habt die Menschen gezwungen vor Euch niederzuknien, Euch anzubeten, freie Menschen habt Ihr wie Sklaven behandelt, und immer so gelebt, als gäbe es keinen Tod für Euch, als könntet Ihr immer weiter machen. Heult nur, ja, Ihr heult zurecht, weil Ihr Eurem schäbigen Handwerk nicht mehr nachgehen könnt. Ihr Ausgeburten!
Krösus:
Oh Du mein liebes Geld! Oh Götter!
Midas:
Oh Du mein treues Gold, mein Gold!
Sardanapal:
Oh Ihr Betten der Lust! Ihr süßen Bordelle! Ihr Freudenhäuser! Ihr Orgien!
Menippos:
Wunderbar, heult weiter, Ihr erbärmlichen Heulsusen. Und ich werde den Refrain dazu singen, bis Ihr fertig seid, und der Refrain heißt: Gnothi sauton! Erkenne Dich selbst. Was für eine schöne Begleitung zu Eurem Geheule!
* Lukian (ca. 120–180/190 n. Chr.) war ein griechischer Schriftsteller. Er stammte aus der Stadt Samosata am Euphrat (heute Türkei). Eigentlich sollte er Bildhauer werden, befasste sich aber lieber mit Rhetorik, Literatur und Philosophie. Er schrieb u.a. satirische Dialoge, die er auf Reisen vor Publikum darbot. Im klassischen Weimar fand Lukian einen kongenialen Übersetzer ins Deutsche: Christoph Martin Wieland.
Die hier vorliegende freie Übersetzung stammt vom Verfasser, der die Wieland-Version benutzt hat.